Fesseln der Sünde
Mädchen, das behütet aufgewachsen war, musste die Aussicht, in einen nur aus Männern bestehenden Haushalt einzuziehen, beängstigend sein. »Keine älteren unverheirateten Tanten oder verwitweten Kusinen?«
»Ich fürchte nein.« Er wünschte sich, ihr versichern zu können, die angebotene Hilfe sei ohne Risiko für sie. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als einen anderen Plan für ihre Sicherheit zu haben. »Wir könnten damit davonkommen. Ich war lange außer Landes und habe nicht vor, mit der Gesellschaft vor Ort zusammenzukommen. Das Haus liegt abseits, und die Dorfbewohner misstrauen allen Fremden.«
Nervös zupfte sie mit ihren langen, blassen, graziösen Fingern an dem Verband um ihren Arm. Er bemerkte, dass sie ihren Arm gegen das Schaukeln der Kutsche besser abfedern konnte. Akashs Zaubersalben hatten die schlimmsten Schmerzen gelindert.
Es trat eine qualvolle Stille ein, bis Sarah sprach. »Meine Sicherheit ist mir wichtiger als mein guter Ruf.« Sie hörte sich an, als wäre sie nur widerwillig zu dieser Überzeugung gelangt. Als sie aufschaute, gelang ihr ein zittriges Lächeln. »Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie all diese Schwierigkeiten auf sich nehmen. Ihre Großzügigkeit einer Fremden gegenüber macht Ihnen alle Ehre.«
Ihr uneingeschränktes Wohlwollen war Gideon unangenehm, und er rutschte auf seinem Sitz hin und her. Er musste die aufkommende Vertrautheit unbedingt unterbinden, die sich wie ein feines Spinnennetz über sie ausbreitete, aber stark wie Stahl war. Doch etwas in ihrem unerschrockenen Blick zwang ihn, die Wahrheit zu sagen.
»Ich verabscheue Ungerechtigkeit. Ich verabscheue Tyrannen. Alles in mir wehrt sich dagegen, zuzulassen, dass Männer, die eine Frau so behandeln, wie Sie behandelt worden sind, von ihrer Bösartigkeit profitieren.« Die Emotionen ließen seine Stimme rau werden. »Solange ich auch nur einen Hauch Leben in meinem Körper verspüre, werde ich alles unternehmen, um für Ihre Freiheit und Sicherheit zu sorgen.«
Er bereute seine impulsive Erklärung sofort.
Ihre Augen leuchteten golden, als fiele ein Sonnenstrahl auf einen Tümpel im Wald. Ihre Lippen öffneten sich, aber aus ihrem Mund drang kein Wort. Sie beugte sich vor, berührte ihn aber Gott sei Dank nicht, obwohl seine Haut juckte, als hätte sie nach ihm gegriffen.
Verflucht noch mal. Er hätte schon vorher die drohende Gefahr bemerken müssen. Er musste die aufkeimende Zuneigung zerstören und nicht fördern. Warum hatte er nicht seinen verdammten Mund gehalten?
Zumindest interpretierte er ihren Gesichtsausdruck richtig. Sein Magen drehte sich vor Übelkeit um, als er an die unausweichlichen Folgen dachte. Miss Watson verehrte ihn uneingeschränkt, kritiklos und vollkommen unberechtigt als Helden.
Nach seiner bewegenden Erklärung, in der er ihr seinen uneingeschränkten Schutz versprochen hatte, zog sich Sir Gideon merklich zurück. Sie spürte, wie es sie verletzte, und unterdrückte das sich nicht ziemende Gefühl.
Er schlief die meiste Zeit des Tages. Oder gab vor zu schlafen. Sie war sich nicht sicher. Doch dass ihm ihre Neugierde nicht gefiel, wusste sie mit Gewissheit. Dennoch nagte die Neugierde unablässig in ihr.
Sein offensichtlich weltabgewandter Zustand gab ihr die Möglichkeit, ihren Begleiter über Stunden hinweg zu beobachten. Die mysteriöse Krankheit war vorbei, doch war er immer noch blass und sah ausgezehrt aus. Charis fühlte sich schuldig, denn ihre leichtsinnige Flucht hatte wohl seinen Anfall ausgelöst, obwohl sie nicht wusste, warum. Er hatte so unendlich leiden müssen, sie hatte es kaum ertragen können. Das Schlimmste daran war für sie, dass sie ihm so wenig helfen konnte.
Sie nahm an, dass er regelmäßig unter diesen fürchterlichen Anfällen litt. Was stimmte nicht mit ihm? Ihr war eine solche Krankheit noch nie zuvor begegnet, obwohl sie ihren Vater und ihre Mutter gepflegt und sich um viele kranke Pächter auf dem Anwesen gekümmert hatte.
Gideon Trevithick verwirrte sie. Er faszinierte sie. Sie kannte niemanden Vergleichbares. Sie kannte niemanden, der eine derartige Wirkung auf sie ausübte. Er verfügte über diese unwiderstehliche Mischung aus Strenge und Verletzbarkeit. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, tanzte ihr Herz vor Freude. Dieser Zustand atemloser Spannung war ungewohnt und beängstigend. Keiner ihrer Verehrer hatte durch seine bloße Präsenz eine solche Begierde in ihr ausgelöst.
Vielleicht fühlte sie so, weil er sie gerettet
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