Fesseln des Herzens
sagte Henry fast schon verzweifelt. »Ich werde den Baron dazu bewegen, dich nicht auf den Scheiterhaufen zu bringen. Sag mir nur, was du gehört hast und was Ravencroft mit Nicole angestellt hat.«
Aimee blickte Fellows tief in die Augen. Obwohl sie in diesem Augenblick einen tiefen Hass für ihn empfand, konnte sie erkennen, dass die Ursache seines Verrates Begehren war, vielleicht sogar Liebe.
»Ich kann es Euch nicht sagen. Der Baron hatte mich im Turm zurückgelassen. Ich weiß nur, dass der Mörder hingerichtet werden sollte.«
»Ravencroft hat dich von seiner Seite gelassen?«, fragte Henry kopfschüttelnd.
»Er meinte, es sei zu gefährlich für mich, ins Schloss zu kommen. Er vermutete dort weitere Verräter.«
Fellows’ Gedanken begannen zu rasen. Was, wenn der Mörder geredet hatte. Wenn er Nicole belastet hatte …
Er traute Ravencroft nicht zu, sein eigenes Weib getötet zu haben. Aber gewiss hatte er sie im Falle der Aufdeckung eingeschlossen, wenn nicht in den Kerker geworfen. Die einzige Möglichkeit, Nicole zu retten, bestand darin, Ravencroft zu töten, sobald er hier auftauchte.
»Ich weiß, dass Ihr hofft, er würde hier auftauchen«, unterbrach Aimee seine Gedanken. »Doch darauf würde ich mich an Eurer Stelle nicht verlassen. Wegen einer geringen Dienerin wird er das Wohl seiner Baronie ganz gewiss nicht aufs Spiel setzen.«
Henry musterte sie ungläubig. »Du bist mehr als das. Wenn er die Nachricht von deiner Gefangennahme erhält, wird er kommen.«
Aimee schüttelte den Kopf und suchte verzweifelt nach einer Idee, mit der sie ihn von diesem Gedanken abbringen konnte. Eine Finte, die ihn in falschem Glauben ließ und ihn endlich überzeugte.
»Ich habe der Baronin den Trank gemischt, der sie unfruchtbar macht. Wenn sie etwas mit Eurem Verrat zu tun hat, dann wird sie einen Teil der Schuld auch auf mich abgewälzt haben. Ravencroft wird nicht kommen, verlasst Euch drauf.«
Während sie sprach, krampfte sich Aimees Herz zusammen. Sosehr sie hoffte, dass George of Ravencroft Woodward fernbleiben würde, hoffte sie allerdings auch, dass er es nicht deswegen tun würde, weil er ihr wegen des Tranks zürnte.
Sie blickte eine Weile in Fellows’ Gesicht und glaubte zu sehen, dass er ihr diese Erklärung abnahm. Doch würde Woodward das ebenfalls tun?
»Und jetzt würde ich vorschlagen, dass Ihr mich in Ruhe lasst«, fügte sie hinzu. »Es sei denn, Ihr habt vor, mich zu befreien.«
Fellows sah sie gequält an. Für einen kurzen Moment wurde ihm klar, dass er einen großen Fehler begangen hatte. Er hätte Nicole rauben und mit ihr fortgehen sollen.
»Das kann ich nicht. Aber wenn Ravencroft tot ist, werde ich Woodward bitten, dass er dich gehen lässt.«
Aimee blickte kopfschüttelnd auf den Boden. Bis dahin bin ich verrottet oder verbrannt, dachte sie.
»Wenn das so ist, haben wir nichts mehr miteinander zu besprechen. Ravencroft wird nicht kommen, und Ihr werdet Euch nicht mehr auf seinem Land blicken lassen können.«
Damit senkte sie den Kopf und schaute selbst dann nicht auf, als Henry begriff, dass sie nicht mehr mit ihm reden wollte, und die Tür wieder ins Schloss fiel.
In dieser Nacht fühlte sich Aimee, als befände sie sich bereits in der Vorhölle. Die kleine Zelle gab ihr das Gefühl, nicht frei atmen zu können, und der unaussprechliche Gestank, der durch den gesamten Kerker waberte, schien jede Pore ihres Körpers zu durchdringen. Das Fackellicht malte gespenstische Schatten auf den Kerkerboden, der mit schmutzigem Stroh bedeckt war, und ab und an fiel ein Lichtstrahl auf die eine oder andere Ratte.
Das Stöhnen der anderen Gefangenen und das Rasseln von Ketten ließen die Schäferin mehrfach aus dem Schlaf hochschrecken. Immer wenn es ihr doch wieder gelang, kurz einzuschlafen, wurde sie von schrecklichen Träumen heimgesucht, die allesamt von Verrat und Tod handelten. Der schlimmste von ihnen offenbarte ihr das Gesicht von Ravencroft, das über und über mit Blut bedeckt war. Die finsteren Bilder verschwanden erst, als jemand sie mehrmals hart an der Schulter rüttelte. War es bereits Morgen? In der Finsternis, die sie umgab, konnte sie es nicht mit Gewissheit sagen.
»Komm hoch«, forderte die rauhe Stimme des Mannes, der niemand anderes als der Kerkermeister war.
Als Aimee sein grobes und schmutzverschmiertes Gesicht über sich sah, fuhr sie zusammen, doch sogleich besann sie sich wieder auf das Geschehene und folgte seinem Befehl.
Man nahm ihr die
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