Fesseln des Herzens
Kinderfrau meiner Tochter, entführt und will nun versuchen, mich zu erpressen. Das kann und will ich mir nicht bieten lassen, also frage ich euch: Seid ihr bereit, mit mir und meinen Soldaten zu ziehen und Aimee zu befreien?«
Die Männer zögerten. Vielleicht hätten sie begeisterter zugestimmt, wenn es geheißen hätte, dass ihre Dörfer in Gefahr seien. Es gehörte schon ein guter Grund dazu, sich für eine einzelne Frau in den Kampf zu stürzen. Dass ihr Herr sein Herz an sie verloren hatte, reichte nicht aus, dessen war sich Ravencroft bewusst.
»Bedenkt, Aimee ist die Frau, die euren Weibern bislang ohne Unterschied geholfen hat, eure Kinder zu gebären«, führte er daher an. »Wenn wir sie nicht aus Woodwards Kerker holen, wird sie gewiss auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ihr werdet dann niemanden mehr haben, der euren Frauen aus der Not helfen kann. Außerdem hat sie mich vor dem Tode bewahrt und damit euch vor der Herrschaft Woodwards, der das letzte Mark aus euren Knochen pressen würde. Ihr seid also verpflichtet, ihr zu helfen!«
Eine Pause entstand, in der heftiges Murmeln den Platz füllte.
Aber Ravencrofts Worte waren überzeugend genug, um den Männern zu einer Entscheidung zu verhelfen.
Erfreut vernahm der Baron, dass keiner der Anwesenden zurückbleiben würde. Seine Männer würden für Aimee kämpfen!
»Dann lasst uns dem Baron of Woodward zeigen, wie dunkel es unter den Schwingen eines Raben werden kann«, rief Ravencroft. »Waffen bekommt ihr bei Nicolas Saint James. In einer Stunde beginnt der Marsch!«
Während die Menge sich zerstreute, nahm Ravencroft seinen neuen Hauptmann noch einmal beiseite.
»Sorg dafür, dass uns genügend Wagen zur Verfügung stehen. Ich will nicht offen gegen Woodward anrennen, wir müssen eine List anwenden.«
»Und welche, Mylord?«
»Ein paar der einfachen Männer sollen Wagen nach Woodward hineinlenken, die mit den Kämpfern beladen sind. Gelingt alles so, wie ich es plane, werden wir unserem Feind einen gehörigen Schrecken einjagen.«
»Aber er wird damit rechnen, dass wir kommen«, wandte St. James ein.
»Eben, deshalb müssen wir uns ja auch einen Vorteil verschaffen.« Ravencroft machte eine kurze Pause, überlegte und fuhr dann fort: »Woodward wird glauben, dass ich außer mir und deshalb blind vor Zorn bin. Er wird damit rechnen, dass ich mit erhobenem Schwert gegen seine Mauern anrenne, aber ich ziehe es vor, das Untier von innen heraus zu treffen. Bereite alles vor, Saint James, ich werde dir meinen Plan auf dem Weg nach Woodward offenbaren.«
Gegen Ablauf der Stundenfrist tönte der Lärm des nahen Aufbruchs über den Hof. Waffen klirrten, Pferde wurden gesattelt und aufgezäumt. Dutzende von Stimmen vermischten sich zu einem unkenntlichen Gewirr, das wie das Rauschen des Meeres an einem stürmischen Tag klang.
Je lauter es auf dem Hof wurde, desto mehr verstummte die Burg.
Die Frauen, deren Männer in den Kampf zogen, waren bei ihnen, und jene, die niemanden zu verlieren hatten, saßen in ihren Kammern in stilles Gebet vertieft.
George of Ravencroft jedoch ging langsam durch die Ahnengalerie, blieb vor jedem Bild stehen und führte ein stummes Zwiegespräch mit den Porträtierten.
Die Frage, ob er das Richtige tat, stellte er ihnen allerdings nicht. Vielmehr bat er seine Ahnen um Unterstützung im Kampf. Der Angriff auf die Burg würde nicht einfach werden, und bisher hatte er ihn immer gescheut. Doch jetzt ging es um Aimee, und auch wenn Woodward gewiss einen Angriff erwartete, wollte er das Risiko nicht scheuen.
Als der Baron seine Betrachtung beendet hatte, strebte er dem Hof zu. Ebenso wie seine Soldaten hatte er einen Brustpanzer angelegt, seine Arme wurden von harten Stahlschienen geschützt, und von seinen Schultern hing ein langer schwarzer Mantel herab, der ihn beim Laufen wie einen fliegenden Raben wirken ließ.
Seine Hand ruhte auf dem Knauf seines Schwertes, das noch aus der Zeit stammte, da der erste Ravencroft den Titel eines Barons erhalten hatte. Es war schwerer als die inzwischen gebräuchlichen Waffen, die gravierte Klinge war breit und lang und trug an der Fehlschärfe zwei lange Dornen. Die Parierstangen waren an den Enden zu Löwenköpfen gearbeitet, die jeweils eine Lilie ausspien.
»In der kommenden Nacht werde ich entweder tot sein oder jenes Weib, das ich liebe, in meinem Armen halten«, flüsterte er leise vor sich hin, und als er nach draußen trat, tönte ihm der Jubel seiner Leute entgegen wie das
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