Fesseln des Schicksals (German Edition)
Freiheitskampf ihr Leben gelassen hatten, war gesühnt.
Nach einigen Wochen war die Infektionsgefahr gebannt, und die Wunden an der Seite und am Oberschenkel vernarbten bereits. David fing an, vorsichtig auf Krücken zu gehen. Wenig später hatte sich sein Bein so weit erholt, dass er wieder reiten und sich endlich auf die lange Heimreise nach Virginia machen konnte.
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D ie Sonne stand fast am Zenit, als David New Orleans erreichte. Gerade erst war die letzte Maiwoche angebrochen, aber es war bereits unerträglich heiß. Die Gebäude der Royal Street warfen nur einen schmalen Schattenkorridor, kaum breit genug, um den vor Hitze nach Luft schnappenden Passanten Schutz zu bieten. Kutschfahrer, Arbeiter, Sklaven und Herren, alle eilten hin und her, um ihre Besorgungen zu erledigen, bevor sie sich während der Mittagsstunden in die Kühle ihrer Häuser zurückziehen konnten, wenn Hitze und Feuchtigkeit ihren Höhepunkt erreichten.
Auch David hatte Ruhe dringend nötig. Mehrere Tage lang war er geritten, nun tat ihm das Bein weh, auch wenn es besser heilte, als er erwartet hatte. Seine Kleidung war mit einer dicken Kruste aus Schmutz und Erde bedeckt, und als wäre das nicht genug, juckte es ihn am ganzen Körper.
Die letzte Strecke seiner Reise hatte ihn durch die von Moskitos heimgesuchten Sümpfe in der näheren Umgebung von New Orleans geführt. Seit er vor fast drei Monaten sein Heim in Virginia verlassen hatte, sehnte David sich nach einem Bad und einem weichen Bett. Der Wunsch war deutlich stärker geworden, seit diese elendigen, geflügelten Bewohner der sumpfigen Lagunen des Mississippideltas beschlossen hatten, ihn zur Zielscheibe zu machen und mit Stichen zu durchlöchern. Aber seine Verabredung mit dem Schaumbad musste noch warten.
Nachdem er in einem Gebäude mit vanillefarbenen Mauern und grünen Fensterläden, das der staatlichen Bank von Louisiana als Hauptsitz diente, dreitausend Dollar abgehoben hatte, ritt er durch die Conti Street Richtung Fluss.
Obwohl es zwischen den dreistöckigen Gebäuden mit ihren endlosen Fensterreihen eingezwängt war, fiel das schmale, niedrige Haus vor allem durch seine gewagte gelbe Fassade und die indigoblaugestreifte Markise auf. Als David vom Pferd abstieg, schoss erneut ein scharfer und kalter Schmerz durch sein rechtes Bein. Er biss die Zähne zusammen und klammerte sich an die Zügel. Es war, als würden tausend Nadeln seinen Schenkel durchbohren und in den Knochen stechen. Doch der Schmerz würde ebenso rasch wieder verschwinden, David kannte das schon. Er musste nur stillhalten und abwarten.
Sobald der Schmerz nachließ, band David sein Pferd an einen Pfosten im Schatten eines Baumes und ging zur Tür. Als seine Hand den glänzenden Türknauf aus Metall berührte, nahm er schon nur noch ein unangenehmes Kribbeln im Bein wahr.
***
An jenem Morgen war Olivier De Hule unausgeschlafen. Die Hitze hatte ihm kaum erlaubt, ein Auge zu schließen. Den größten Teil der Nacht hatte er damit zugebracht, sich von einer Seite des schweißnassen Bettes auf die andere zu drehen und unablässig vor sich hin zu jammern. Schließlich war diese Nacht nur ein Vorspiel für das bevorstehende Elend: schlaflose Nächte bis Mitte September, wenn die heiße, mit Feuchtigkeit durchtränkte Luft endlich dem Herbst weichen würde. Erst dann würden die Nächte in New Orleans kühler werden und seinen verzweifelten und erschöpften Bewohnern wieder unbeschwerten Schlaf schenken.
Äußerst schlecht gelaunt stieg Olivier die Treppe hinunter und begab sich in die Werkstatt im hinteren Teil des Hauses, das mitten im Herzen des französischen Viertels lag. Nicht einmal das Frühstück mit Buttertoast, Kaffee und Rührei hatte ihn aufheitern können. Ein harter Tag lag vor ihm. Vielleicht hätte er seine Koffer packen und nach Norden ziehen sollen, wo zivilisierte Menschen auch im Sommer schlafen konnten, dachte er, noch immer verärgert wegen der durchwachten Nacht. Jedes Jahr spielte er mit diesem Gedanken, aber er wusste, dass er New Orleans nie würde verlassen können, ja nicht einmal das französische Viertel, um unter den feinen Herren im Norden zu leben.
Obwohl er die fünfzig schon überschritten hatte, wollte Olivier De Hule den Kampf noch nicht aufgeben, den sein Körper gegen den Lauf der Zeit ausfocht. Eitel wie kein zweiter, färbte er allmorgendlich jede einzelne seiner grauen Strähnen mit Pech und schmierte danach so viel Pomade darüber, dass die Zinken des
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