Fesseln des Schicksals (German Edition)
Bewegungen waren langsamer geworden, und mehr als einmal hatte sie zerstreut und abwesend gewirkt.
Katherine sah ihr in die Augen. «Geht es dir auch gut, Molly?»
Molly war eine Sekunde lang versucht, ihr das Herz auszuschütten und ihr von dem Zwischenfall mit dem Aufseher zu erzählen. Fast hätte sie zugegeben, wie sehr sie sich nach ihrem Zuhause in New Orleans sehnte und wie hart es war, ständig die misstrauischen Blicke der anderen Sklaven ertragen zu müssen.
Aber Molly wusste, dass Katherine es im Grunde ihres Herzens vorzog, nichts von den Schwierigkeiten ihrer Sklavin zu hören. Ihr Glück sollte nicht durch die Probleme anderer Menschen getrübt werden.
«Alles ist in Ordnung, Katty.»
Obwohl Katherine ahnte, dass das nicht stimmte, seufzte sie doch erleichtert auf. Alles war gut.
«Master David wartet schon. Wenn du dich nicht beeilst, wirst du auch diesen Sonntag zu spät kommen», sagte Molly.
«Auf keinen Fall!» Katherine ergriff dankbar die Gelegenheit, das Thema zu wechseln. «Heute werde ich pünktlich sein.»
Wie sonst auch trank Katherine nur eine halbe Tasse Tee und verschmähte das Frühstück aus Buttertoast mit Himbeermarmelade. Sie begnügte sich damit, an einem der geschälten Apfelschnitze zu nagen, die Latoya auf einem Tellerchen aus hauchdünnem Porzellan bereitgestellt hatte.
Zwanzig Minuten später traf Katherine ihren Mann im Empfangszimmer. Sie hatte ein dezentes Kleid mit spitzem Ausschnitt gewählt, das für einen Gottesdienst in der sittenstrengen Gesellschaft Virginias mehr als angemessen war.
***
Nach der Messe plauderten David und Katherine noch ein wenig mit ihren Nachbarn und kehrten dann nach New Fortune zurück. Zu Mittag speisten sie gegrilltes Lamm mit Gemüse, zum Dessert gab es einen köstlichen Pudding, den Olivia aus den letzten Brombeeren der Saison zubereitet hatte.
Am Nachmittag fuhr David zu Ross Dugans Plantage, um sich von seinem Freund zu verabschieden. Am nächsten Tag würde Dugan in den Westen zurückkehren. Mit einigen Indianerstämmen hatte es Probleme gegeben, und sein Regiment hatte die Aufgabe, für die Sicherheit der Siedler zu sorgen. Vielleicht würden ein paar Jahre vergehen, bevor sie sich wiedersahen. Vielleicht kehrte Ross Dugan aber auch nie zurück, wie viele andere, die vor ihm in diese unwirtliche Gegend aufgebrochen waren.
Während David in Gesellschaft einiger Freunde einen guten schottischen Whisky trank, wurden auf New Fortune zwanzig Paar Vorhänge aus feinstem Samt angeliefert. In nur einer Stunde waren die alten Stores ersetzt. Als Katherine feststellte, wie elegant sich der blaue Samtstoff von den hellen Farbtönen der Wände abhob, nickte sie zufrieden. Damit war die Renovierung der schönen Villa mit der weißen Fassade vollendet. New Fortune war endlich bereit, seine Nachbarn zu empfangen. Man müsste nur noch ein passendes Datum für die Feier finden.
***
David war in aller Frühe aufgebrochen. Da er einiges in Richmond zu erledigen hatte, hatte er angeboten, Ross Dugan in die Stadt zu bringen. Dugan würde am Bahnhof in den Zug steigen und über den Norden in die Westgebiete fahren. David hingegen würde sich mit Senator Browning treffen, mit dem er Geschäftliches zu besprechen hatte. Nach ein paar Einkäufen, die Katherine ihm aufgetragen hatte, würde er noch am gleichen Abend nach New Fortune zurückkehren.
Es war zwar erst sieben Uhr morgens, aber Katherine war voller Energie. David hatte ihr die Erlaubnis gegeben, einen Ball zu veranstalten. Es würde die prachtvollste Feier der Saison werden. Es gab viel zu tun: Die Einladungen mussten geschrieben werden, das Menü ausgewählt, das Haus dekoriert. Man musste an so viele Dinge denken, es war keine Minute zu verlieren.
Schwungvoll stieg sie aus dem Bett. Sie konnte unmöglich warten, bis Molly sie in ein paar Stunden wecken würde. Sie musste unbedingt jetzt schon mit ihr sprechen.
Von ihrem Zimmer im ersten Stock aus durchquerte sie den kleinen Flur, der zur Dienstbotentreppe führte. Gerade wollte sie die Stufen hinaufsteigen, als sie sah, wie sich eine Gestalt über den unteren Treppenzug entfernte. Es war David. Er musste in der oberen Etage gewesen sein. Sie wollte ihn schon rufen, aber er hatte sie nicht bemerkt und schien es eilig zu haben. Es kam ihr sonderbar vor, dass er noch nicht weg war, aber sie maß dem keine weitere Bedeutung bei. Sie wandte sich wieder der Stiege zu, die sie bis jetzt noch nie benutzt hatte und die ihr steiler vorkam als
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