Fesseln des Schicksals (German Edition)
gelegen und auf die Geräusche gelauscht, die aus der Dunkelheit kamen, voller Angst, dass sich vielleicht die leisen Schritte des Aufsehers dahinter verbargen, der sich heimlich in ihr Zimmer schleichen wollte. Inständig flehte sie, dass dieser Mann sie vergessen möge.
Nachdem sie sich das Gesicht gewaschen hatte, spürte sie, dass sie sich langsam wieder in den Griff bekam. Davids Worte waren deutlich gewesen. Ihr Aussehen musste sich verändern. Sie musste sich schlichter kleiden. Das war gar nicht so einfach, denn Molly hatte sich immer gut angezogen. Und fast alle ihre Kleider hatten vorher Katherine gehört.
Zum Glück fand sie ein Kleid, das für ihre Zwecke geeignet war. Sie würde es ein wenig ändern müssen, aber zumindest war der Stoff von einer diskreten Farbe und so unmodern, dass er nicht weiter auffallen würde.
Sie nahm etwas Stoff aus dem Rock, damit er weniger ausladend fiel, trennte die Spitzen und Volants ab und ersetzte den spitz zulaufenden Ausschnitt durch einen runderen, unauffälligeren. Einige Zeit später betrachtete sie zufrieden ihr Werk, verstaute dann den übrig gebliebenen Stoff sorgsam in ihrem Koffer und zog das Kleid an. Dann steckte sie ihr Haar hoch und versteckte es unter einem bunten Tuch, das Katherine ihr vor kurzem geschenkt hatte. Ein Blick in den Spiegel der Frisierkommode zeigte ihr, dass sie blass war und tiefe Ringe unter den Augen hatte. Trotz des einfach geschnittenen Kleides war sie noch immer eine attraktive junge Frau. Aber vielleicht würden die Dinge jetzt einfacher werden. Mit dem neuen Aussehen würden die Leute hoffentlich auch ohne Erklärungen erkennen, dass sie eine Sklavin war. Und vielleicht, so hoffte sie inständig, genügte ihr schlichteres Äußeres auch, um sich vor den Zudringlichkeiten des Aufsehers zu schützen.
Sie brauchte ein wenig Zeit, um sich in der Unbekannten wiederzuerkennen, die sie aus dem Spiegel anblickte. Als sie sich bereit fühlte, atmete sie tief ein und verließ das Zimmer. Wie jeden Morgen verstummten die Sklaven, sobald sie Mollys Schritte auf der Treppe hörten. Aber diesmal, anstatt einfach so zu tun, als wäre sie nicht da, musterten Latoya, Thomas und Olivia sie von oben bis unten. Molly verspürte einen winzigen Anflug von Freude. Fast genoss sie diesen Moment ein wenig. Sie wünschte allen einen guten Morgen und nahm sich eine Tasse Kaffee, ohne auf eine Erwiderung ihres Grußes zu warten. Als Latoya das Frühstück fertig hatte, holte sie schnell das hellblaue Kleid aus der Kammer neben der Küche.
Wenige Minuten später trat Molly mit dem Kleid über dem Arm in das Zimmer ihrer Herrin. Latoya folgte ihr mit dem Frühstückstablett.
«Guten Morgen, Molly», gähnte Katherine ungeniert und reckte und streckte sich. Master David hatte schon vor Stunden im Esszimmer gefrühstückt und war auf die Felder geritten. Molly lächelte Katherine zu. Sie hängte das Kleid in den Schrank, zog die Gardinen zur Seite und hob Katherines Morgenmantel vom Boden auf.
Latoya verließ das Zimmer wieder, nachdem sie das Frühstück auf einem Marmortisch abgestellt und ihrer Herrin einen guten Morgen gewünscht hatte.
Katherine war bester Laune. Sie sprang aus dem Bett, nahm Mollys Gesicht in die Hände und drückte ihr einen lauten Kuss auf die Wange.
«Ich bin so glücklich! Ich hätte nicht gedacht, dass man so glücklich sein kann!»
Molly lächelte traurig. Sie selbst konnte sich kaum vorstellen, was Glück überhaupt war.
Erstaunt trat Katherine einen Schritt zurück. «Und dieses Kleid?»
Molly wusste nicht, was sie sagen sollte.
«Wenn es wegen gestern Abend ist …»
«Nein, Katty», widersprach sie etwas zu schnell, «ich glaube, so werde ich mich wohler fühlen. Wirklich.»
Katherine wollte schon protestieren. Molly war schließlich nicht wie die anderen Sklavinnen. Sie war ihre Freundin, und Katherine würde nicht erlauben, dass die dummen Komplexe einer schamlosen Harpyie Einfluss darauf hatten, wie sie ihre Sklavin anziehen oder behandeln sollte. Aber etwas in Mollys Blick, ein stummes Bitten oder vielleicht der deutliche Glanz von Tränen, brachte sie dazu, ihre Meinung zu ändern.
«Wie du willst, Molly. Wenn du dich wohler fühlst, kannst du dich natürlich so anziehen.»
Katherine war keinesfalls dumm, auch wenn sie sich manchmal bemühte, genau diesen Eindruck zu erwecken. Und sogar ein Blinder hätte bemerkt, dass Molly sich verändert hatte. Die Ringe unter den Augen wurden jeden Tag tiefer. Ihre
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