Fesseln des Schicksals (German Edition)
unternehmen konnte, ging Owen noch einen Schritt auf sie zu. Langsam wich sie immer weiter zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Jetzt saß sie in der Falle! Nervös blickte sie auf. Der Aufseher stand so nah vor ihr, dass ihr Gesicht fast sein Hemd berührte. Er roch so stark nach Tabak, dass Molly übel wurde.
Owen sah ihr in die Augen. Molly fürchtete, ohnmächtig zu werden. Sie wusste genau, was er wollte. Schon oft hatte sie die Begierde im Blick eines Mannes gesehen. Und das Schlimmste war, dass sie überhaupt nichts tun konnte. Sie hatte ja nicht einmal das Recht, sich zu verteidigen. Schließlich war sie nichts weiter als eine Sklavin, und das war es eben, was mit Sklavinnen geschah, die das Pech hatten, hübsch geboren zu sein. Es war mit ihrer Urgroßmutter geschehen, ihrer Großmutter, ihrer Mutter, und ihr würde es genauso ergehen. Schon immer hatten die Frauen ihrer Familie die Blicke der weißen Herren auf sich gezogen.
«Wie weiß du bist …» Ohne den Blick von Mollys sinnlichem Mund zu wenden, streckte der Aufseher seine Hand nach ihr aus. Während er ihr mit seinen rauen Fingern über die Wange strich, hielt Molly den Atem an. Sie war starr vor Angst. Dieser Mann würde vor nichts zurückschrecken.
Als Owen Graham die zarte Haut der Sklavin berührte, kam er sich derb und unbeholfen vor. Durch die jahrelange schwere Arbeit waren seine Hände hart geworden. Wieder sah er Molly an. Er war ihr so nah, dass er ihren hektischen Atem spürte.
Plötzlich hielt er inne. Vielleicht hatte er das stille Flehen in ihren Augen gesehen. Er ließ seine Hand sinken und trat einen Schritt zurück. «Gute Nacht, Molly.»
Mit heftig klopfendem Herzen und zitternden Knien rannte Molly in ihr Zimmer hinauf, so schnell sie nur konnte.
***
Kurz nachdem Molly sein Arbeitszimmer verlassen hatte, bekam David Durst. Er hob den Glaskrug an, den Thomas mit dem Kaffee gebracht hatte, und stellte fest, dass er leer war. Ungehalten verließ er das Zimmer, den Krug in der Hand, und tastete sich durch den Flur zur Küche vor.
Die Küche wurde von der schwachen Flamme einer Öllampe erhellt. Jemand war so unvorsichtig gewesen, die Lampe nicht zu löschen. David nahm sich vor, am nächsten Tag herauszufinden, wer der Verantwortliche war. Er würde über eine Gedankenlosigkeit, die New Fortune in wenigen Stunden in Asche verwandeln könnte, nicht hinwegsehen.
Das schummrige Licht genügte ihm zur Orientierung. David trat vor die Pumpe und wollte gerade den Schwengel betätigen, als er draußen jemanden bemerkte. Wahrscheinlich war der Sklave, der die Flamme hatte brennen lassen, kurz vor die Tür gegangen. Gut, dachte David zufrieden bei sich, dann war auch niemand unvorsichtig gewesen. Er ging zum Fenster und zog die Gardine zur Seite, die ihm die Sicht nach draußen versperrte.
Es war kein Sklave, der sich auf der Veranda herumtrieb. Es war Owen Graham, aber er hatte David nicht bemerkt. Er schien mit etwas an der Wand beschäftigt zu sein. Instinktiv duckte David sich ein wenig. Da war noch jemand bei Owen. Aber wer? David presste sein Gesicht an die Scheibe. Zwar konnte er die andere Person nicht sehen, aber das war auch gar nicht nötig. Dieses rote Kleid würde er überall wiedererkennen. Jetzt begriff er, was vor sich ging.
Gerade hatte David beschlossen dazwischenzugehen, als Molly schon in die Küche gestürzt kam. All das geschah so schnell, dass David gerade noch Zeit hatte, der Sklavin auszuweichen und sich gegen eine Wand zu drücken. Sie hatte es so eilig zu entfliehen, dass sie ihren Herrn gar nicht bemerkte. Im Vorbeilaufen schnappte sie sich die Öllampe vom Tisch und rannte wie der Blitz die Treppe hinauf.
Fast gleichzeitig verließ Owen die Veranda.
Nur das gedämpfte Licht der Sterne fiel noch durch die Fensterscheiben in die Küche. David verfluchte das plötzliche Verschwinden der Lampe, machte sich aber endlich daran, den Krug zu füllen.
In der Tat, dachte David, während er sich zum Ausgang der Küche tastete, Molly war eine schöne Frau. Zweifellos die schönste Sklavin, die er jemals besessen hatte.
· 8 ·
M olly stand auf, sobald der Morgen graute. Noch eine Minute länger im Bett, und sie würde verrückt werden. Sie musste unbedingt irgendetwas tun, um sich von den unangenehmen Ereignissen des Vortags abzulenken. Die Demütigung bei den Burtons, das Gespräch mit David und die bedrohliche Begegnung mit dem Aufseher hatten ihre Nerven blank gelegt. Die ganze Nacht hatte sie wach
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