Fesselnde Entscheidung (German Edition)
unbestimmte Zeit einfach weggesperrt zu werden, hatte ihm Angst gemacht. Als schwärzeste Erfahrung seines Lebens hatte er sich die Zeit im Gefängnis vorgestellt.
Aber die Realität war schlimmer. Was er bereits in der ersten Nacht in der Untersuchungshaft erleben musste, überstieg seine Vorstellungskraft.
Der Haftrichter hatte sofort Untersuchungshaft angeordnet. Aus Zeitmangel war er nach dem ersten Verhör, vollkommen gefilzt in einer Vierbettzelle, der sogenannten Zugangszelle, gelandet - mit der Ankündigung, dort maximal 24 Stunden zunächst warten zu müssen.
Eine dreckige, erbärmlich stinkende Kammer, wie er fand. In der hinteren Ecke befand sich eine silberfarbene Toilette – ohne jede Abtrennung, die ihn, aus welchen Gründen auch immer, an die riesige – mit dunkelbrauner Ochsenschwanzsuppe gefüllte – Suppenschüssel in der Uni-Kantine erinnerte. Obwohl er Hunger hatte, wurde ihm auf einmal übel.
Auf der unteren Pritsche saß ein asiatisch aussehender Junge, der wahrscheinlich viel älter war, als er tatsächlich aussah. Er nickte ihm nur kurz zu und schwang sich dann auf die obere Matratze gegenüber von seinem Leidesgenossen.
»Junhui«, hörte er den Jungen zu ihm sagen.
»Hi, Tim«, stellte er sich knapp vor.
Junhui wollte offensichtlich mehr erfahren, aber Tim winkte müde ab. Er hatte keine Lust auf Konversation und schon gar nicht auf die Frage, wonach diese Zelle scheinbar zu schreien schien.
Und? Warum bist du hier?
Sein Blick fiel auf die mit undefinierbaren Flecken übersäte Schaumstoffmatratze. Ich will gar nicht wissen, was das alles ist, ging ihm durch den Kopf. Tief durchatmend legte er sich hin und versuchte eine Position zu finden, die niemals für bequem durchgegangen wäre, aber dennoch erträglich war.
Krampfhaft versuchte er sich an den Gedanken festzuklammern, dass alles nicht so schlimm werden würde. Schließlich haben sie Sex gehabt, insofern kann es für sie alles gar nicht
so
schlimm gewesen sein. Aber immer wieder ergriff ihn ein ungeheures Angstgefühl, das sich wie ein nasser Mantel um ihn legte. Was, wenn sie ihn zusätzlich der Vergewaltigung anklagen würden? Dem hätte er nichts entgegenzusetzen. Niemand würde ihm glauben. Dann wäre alles vorbei. Alles.
In den darauf folgenden Stunden kamen noch zwei Neuzugänge in die Zelle. Aber Tim registrierte sie nur am Rande, drehte sich zur wild beschmierten Wand um, versuchte die Kritzeleien zu entziffern und musste irgendwann darüber eingeschlafen sein - in der Hoffnung, am nächsten Morgen in seinem Bett aus einem furchtbaren Albtraum zu erwachen.
Ein quietschendes Geräusch weckte ihn jäh. Zuerst wusste er gar nicht, wo er war, dann hörte er ein leises Wimmern und drehte sich um. Was er dann sah, fräste sich unwiderruflich in sein Gehirn und er wusste, dass er dieses Bild niemals mehr vergessen würde: Junhuis schmerzverzerrtes, angsterfülltes Gesicht, über ihm ein klobiger Kerl mit schwarzen lockigen Haaren und herunter gelassener Hose.
Blitzartig sprang Tim von seiner Liege, schrie um Hilfe, und versuchte den Kerl von Junhui zu reißen. Im Augenwinkel sah er, dass der andere Neuzugang, der auf der Matratze unter ihm lag, schnell die Hand aus der Hose zog. Der hat sich dabei jetzt nicht einen runtergeholt, dachte er voller Abscheu.
Tims Hilfe kam zu spät, die Tat war vollendet. Daran konnten auch die schnell herbeieilenden Beamten nichts mehr ändern. Wie durch einen Schleier nahm Tim den geschundenen, blutenden Körper von Junhui wahr, der leise weinend weggebracht wurde. Tim sackte fassungslos auf die Knie. Schließlich wurde auch der Täter abgeführt.
»Deinen Arsch krieg ich auch noch!«, hörte er ihn in seine Richtung laut pöbelnd rufen.
Auf allen vieren kroch Tim zur
Suppenschüssel
und kotzte sich die Seele aus dem Leib.
31. Kapitel - Die Tage danach
»Es besteht kein Zweifel daran, dass Geschlechtsverkehr stattgefunden hat. Entsprechende Körperflüssigkeiten wurden am Tatort eindeutig gesichert.«
Schulte wollte nicht hören, was die rothaarige Kriminalbeamtin mit dem unaussprechlichen Namen gerade zu ihm gesagt hat. Reichte es nicht, dass sein kleines Mädchen ein unvorstellbares Martyrium durchlebt hatte? Hatte es zusätzlich auch noch sexuell missbraucht werden müssen?
»Was wir nicht eindeutig wissen, ist, weshalb Ihre Tochter vehement jede Aussage zu diesem Thema verweigert und eine ärztliche Untersuchung strikt ablehnt«, ergänzte Frau Baliczkilgulijo und fuhr fort,
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