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Fesselnde Entscheidung (German Edition)

Fesselnde Entscheidung (German Edition)

Titel: Fesselnde Entscheidung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Sterne
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»es gibt verschiedene Möglichkeiten, die so ein Verhalten erklären. Manche Opfer verdrängen zum Beispiel die Tat und können sich später gar nicht mehr daran erinnern. Das ist eine Art Selbstschutz. Natürlich kann es auch sein, dass Ihre Tochter am sogenannten ´Stockholm-Syndrom` leidet. Das ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen, was sie mit den Tätern sympathisieren und sie teilweise sogar mit ihnen kooperieren lässt.«

Auf einmal kam es Schulte so vor, als würden die grauen Wände des maßlos überladenen Büros von Frau Baliczkilgulijo immer dichter auf ihn zu kommen, als wollten sie ihn erdrücken. Seine Brust schnürte sich zu und er rang nach Luft.

Kurzatmig hakte er alarmiert nach: »Was wollen Sie mir damit sagen?«

»Wir wissen nur, dass sich Ihre Tochter zum Zeitpunkt des Zugriffs frei im Haus bewegt hat. Sie war weder gefesselt noch anderweitig daran gehindert, das Haus zu verlassen.«

»Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!«, brüllte Schulte die Kriminalbeamtin an. Wieder mal hatte er sich nicht in der Gewalt.
»Sie wollen mir ja wohl nicht ernsthaft weismachen, dass meine Tochter mit dem Täter gemeinsame Sache gemacht hat und sich ihm womöglich auch noch völlig freiwillig hingegeben hat!«

»Nein, Herr Dr. Schulte«, erwiderte Frau Baliczkilgulijo und hob beschwichtigend die Hände, »natürlich nicht. Ich verstehe Sie absolut, Herr Dr. Schulte. Das ist alles eine unglaubliche traumatische Erfahrung sowohl für Sie als auch für Ihre Tochter.«

»Und die Wunden an ihren Handgelenken hat sie sich wahrscheinlich selbst zugefügt und sich alles andere nur ausgedacht, zum Beispiel die Pistole, mit der er sie bedroht hat …«, Schulte war außer sich.
Frau Baliczkilgulijo schüttelte den Kopf: »Nein, Herr Dr. Schulte. Ich verstehe Sie wirklich. Wenn das meine Tochter wäre, würde ich genauso reagieren. Das können Sie mir glauben.«

Langsam zeigte die von Frau Baliczkilgulijo angewandte Deeskalationstechnik Wirkung und Schulte beruhigte sich allmählich. Frau Baliczkilgulijo schien klar zu sein, dass ein Fortsetzen des Gesprächs sinnlos war, denn sie versuchte es scheinbar nur noch positiv beenden zu wollen.

Als sie Schulte verabschiedet hatte, setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch und drehte eine rote Haarsträhne gedankenverloren um ihren Finger. Ungewöhnlicher Fall, fand sie. Weshalb schwiegen sowohl Täter als auch Opfer bei der Frage, ob Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte oder nicht?  

32. Kapitel
     

    Nachdem Tim fast 18 Stunden in der Zugangszelle verbracht hatte, kam er zur ´Aufnahmeverhandlung` in die Vollzugsgeschäftsstelle. Viele Fragen hatte Tim unter Strafandrohung wahrheitsgemäß zu beantworten. Gleichzeitig wurde ihm aufgrund des zu erwartenden Strafmaßes ein Pflichtverteidiger genannt, weil er gerade keinen anderen Anwalt parat hatte. Dann folgte die ´Kammer`. Dort musste er sich vor drei Beamten nackt ausziehen, duschen und wurde komplett abgesucht – anschließend seine Klamotten, die er danach wieder anziehen durfte. Schließlich landete er – seines sämtlichen Selbstwertgefühls beraubt – aber um Bettwäsche, Wolldecken, Handtücher, Essgeschirr und einer erniedrigenden Erfahrung reicher – in seinem Haftraum, einer Einzelzelle.

Sein Blick fiel sofort auf die Gitterstäbe vor dem schmalen Fenster. Draußen regnete es. Angekommen, dachte er bitter, Glückwunsch, du hast es bis in den Knast geschafft!
Hätte er es nicht besser gewusst, wäre er sich fast wie in einem einfach, aber zweckmäßig eingerichteten Zimmer einer Jugendherberge vorgekommen – nur, dass es dort selten Einzelzimmer gab und noch seltener Gitter vor den Fenstern.
Alles in allem ein tristes Grau – bestehend aus einem Bett, einem kleinen Schreibtisch samt Stuhl, einem Schrank, ein Waschbecken und sogar eine abgetrennte Toilette – durfte er ab sofort sein neues Zuhause nennen.

In den ersten Tagen der U-Haft wollte Tim eigentlich nur eins: sterben. Nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nicht mehr da sein: allem einfach entfliehen. In sich gekehrt und teilnahmslos ertrank er regelrecht in einem Meer aus Lethargie, fühlte sich wie ein eingesperrtes, menschenähnliches Wesen.

Paradoxerweise hatte die niederschmetternde Mitteilung seines Pflichtverteidigers, die jeden anderen wahrscheinlich in ein Loch tiefer Verzweiflung gestützt hätte, eine heilsame Wirkung auf ihn. Bis zu 15 Jahre,

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