Fesselnde Entscheidung (German Edition)
dass sie über das Ziel hinaus geschossen war, sie hätte taktvoller vorgehen sollen, „nein, Herr Dr. Schulte. Ich verstehe Sie wirklich. Wenn das meine Tochter wäre, würde ich genauso reagieren. Das können Sie mir glauben.“
Langsam zeigte die von Frau Baliczkilgulijo angewandte Deeskalationstechnik Wirkung und Schulte beruhigte sich allmählich. Frau Baliczkilgulijo war klar, dass ein Fortsetzen des Gesprächs sinnlos gewesen wäre, so versuchte sie es, stattdessen zumindest noch positiv zu beenden.
Als sie Schulte verabschiedet hatte, setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch und drehte eine Haarsträhne gedankenverloren um ihren Finger. Ungewöhnlicher Fall, dachte sie. Weshalb schwiegen sowohl Täter als auch Opfer bei der Frage, ob Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte oder nicht?
31. Kapitel - Zwei Wochen später
Bereitwillig hatte Elisa in unzähligen Verhören alle Fragen beantwortet. Nur die eine nicht. Ihr war klar, wenn sie eine Vergewaltigung verneinen würde, dass sie im Umkehrschluss einvernehmlichen Sex mit ihm zugegeben hätte. Doch das konnte sie weder sich – geschweige denn gegenüber irgendjemand anderes – eingestehen.
Alles hatte sie zu Protokoll gegeben, auch, dass er sie hatte gehen lassen und sie freiwillig, aus Sorge er hätte sich etwas antun können, wieder zurückgekehrt war. Allein diese Tatsache hatte ihr skeptische Blicke der beiden Kriminalpolizisten eingebracht. Aber Elisa war das egal. Sie wollte bei der Wahrheit bleiben, zumindest so weit, wie sie es sich selbst eingestand.
Immer wieder musste sie an ihn denken. Tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf. Was sie mit ihm machen würden und was er zu Protokoll gegeben hatte? Unsicher war sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber. Sie hasste ihn nicht. Sie liebte ihn nicht. Egal war er ihr aber auch nicht. Selbst mit Kristina konnte sie nicht über das sprechen, was zwischen ihnen beiden passiert war. Zu absurd, zu unmöglich war das, was geschehen war.
In den ersten Nächten in Freiheit plagten sie furchtbare Albträume. Sie wachte schweißgebadet, schreiend auf, weil sie von der Überwältigung im Park geträumt oder sich wieder im kalten Kellerverlies gesehen hatte. Dann kamen andere Träume. Träume, in denen sie sich wild und hemmungslos geliebt hatten.
Elisa merkte, wie ihre zwiespältigen Gefühle sie langsam auffraßen. Sie weinte viel und verstand nicht, was mit ihr los war. Seit ihrer Befreiung war sie in psychologischer Trauma-Behandlung. Aber auch die half ihr wenig, da sie über das Wesentliche nicht sprechen konnte.
*
Irgendwann konnte sie der Aussprache mit ihrem Vater nicht mehr aus dem Weg gehen. Bis er sie schroff zur Rede gestellt hatte, hatte sie ihn immer wieder mit kurzen Antworten abgespeist. Das einzige, worüber sie mit ihm kurz nach der Befreiung gesprochen hatte, war der aktuelle Stand des Projektes. Sie hatte ihm gedroht, an die Presse zu gehen und alles öffentlich zu machen, wenn er das Projekt nicht sofort stoppen würde. Die Drohung hatte Wirkung gezeigt. Elisa war seit der Entführung für ihn ein unberechenbares Risiko geworden, so dass er das Projekt – sehr zum Leid von Löser – zunächst auf Eis gelegt hatte.
Schulte hatte ihre Eskapaden eine Zeit lang geduldet, wollte ihr die Möglichkeit geben, erst mal ein wenig zu Ruhe zu kommen – bis er ihre Kälte ihm gegenüber einfach nicht mehr ausgehalten hatte.
Auch als Elisa erfahren hatte, dass Oskar, der alte Schulfreund, mit dem Lösegeld abgehauen war, konnte sie keine echte Zuneigung für ihren Vater empfinden. Zu viel war passiert.
Als er sie schließlich irgendwann mit Tränen in den Augen angefleht hatte, ihm zu verzeihen und sich bei ihr entschuldigt hatte, auch während ihrer Kindheit so oft nicht für sie da gewesen zu sein, hatte sie plötzlich doch weinen müssen. Sie hatte es geduldet, dass er sie umarmt hatte. Schlussendlich hatte sie auch ihre Arme um ihn gelegt. Er war ihr Vater und würde es immer bleiben.
Er hatte sie nie nach Details zur Entführung gefragt, hatte ihr nur angeboten, dass er für sie da sein würde, wenn sie mit ihm würde sprechen wollen, egal wann, egal worüber. Dafür war sie ihm dankbar.
*
Als wahre Freunde hatten sich Kristina und Basti erwiesen. Tag und Nacht wechselten sie sich ab, damit Elisa keine einzige Sekunde alleine sein musste. Beide versuchten, sie so gut es ging abzulenken, und teilweise gelang es ihnen sogar, Elisa ein Lächeln abzugewinnen.
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