Fesselnde Entscheidung (German Edition)
stutzte und überlegte kurz. Dann sagte er, „eine Schwester. Ja, eine kleine Schwester.“
Er wurde in Handschellen in den Besucherraum der Justizvollzugsanstalt geführt.
Sie erkannte ihn kaum wieder, als er langsam in einem schwarzen Trainingsanzug und in Badelatschen auf sie zukam. Sofort fragte sie sich, ob ihm der Trainingsanzug mal gepasst hatte, jetzt wirkte er auf jeden Fall zu groß. Er war abgemagert. Von seinen braunen Wuschelhaaren waren nur sehr kurz rasierte braune Stoppeln übrig geblieben. Tiefe Augenränder hatten sich in sein Gesicht gegraben, müde sah er aus.
Nachdem er ihr gegenüber Platz genommen, seine aneinander geketteten Hände auf dem Tisch vor sich abgelegt hatte, nahm sie ihre große schwarze Sonnenbrille ab. Sie schauten sich schweigend in die Augen.
Sie hatte sich diesen Moment tausendmal vorgestellt, sich überlegt, was sie sagen wollte, brachte aber kein Wort über die Lippen. Wusste auf einmal nicht mal mehr, was sie eigentlich hier wollte.
Wieder einmal faszinierte ihn ihre makellose Schönheit. Sie saß nah vorn gebeugt, den Blick auf ihn gerichtet und hielt ihr Hände auf dem Tisch gefaltet als würde sie beten. Ihr zartes Gesicht war dezent geschminkt. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie totenblass vor Schreck gewesen. Jetzt waren ihre Wangen und Lippen gut durchblutet, leicht gerötet. Ihre langen schwarzen Haare verbarg sie unter einer übergroßen Mütze. Sie trug ein weites dunkelgraues Sweatshirt. Er wusste warum, natürlich sollte sie niemand erkennen.
Schließlich war er es, der das Schweigen brach
„Schwesterherz, was kann ich für dich tun?“
„Wie geht es dir?“ fragte sie kleinlaut.
„Willst du die Wahrheit wissen oder dein Gewissen beruhigen?“
Sie antwortete nicht, wich seinem Blick aus.
„Zumindest bin ich nicht der Vergewaltigung angeklagt worden. Als Sexualverbrecher ist es hier, glaube ich, noch unlustiger als es ohnehin schon ist. Ich kann also zufrieden sein“, zischte er sie an. Sie errötete.
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagte sie leise nach einer kurzen Pause.
Er schwieg, konnte ihr nicht die Absolution erteilen. Bereute aber zugleich, sie so angefahren zu haben. Sie wirkte wieder so unendlich zerbrechlich. Was hatte er erwartet? Dass sie sich für ihn einsetzen würde und er ungeschoren davon kommen würde? Wohl kaum. Die Straftatbestände der räuberischen Erpressung und schweren Freiheitsberaubung hatte er nachweislich erfüllt. Dafür blühten ihm bis zu fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe. Dessen war er sich mehr als bewusst.
„Du hast deinem Verteidiger nichts gesagt?“ stellte sie mehr fest als dass sie fragte.
„Was?“ Er wusste genau, was sie meinte.
„Na, … du weißt schon“, sie zögerte, „von uns“ flüsterte sie kaum hörbar. ´Von uns` ging es ihr noch mal durch den Kopf, es klang so vertraut. Es gab kein ´uns` und würde es auch nie geben, rief sie sich wieder ins Gedächtnis.
„Was hätte das gebracht? Mir hätte sowieso niemand geglaubt. Einem Täter glaubt man nicht. Das hätte alles nur noch viel schlimmer gemacht. Mir würde ja noch nicht mal jemand glauben, dass du heute hier warst. Wahrscheinlich würden sie mich gleich in die geschlossene verlegen.“
Einem plötzlichen Bedürfnis folgend, legte sie ihre Hände auf seine. Wie oft hatte sie sich nach seinem Körper gesehnt? Auf seinen Handknochen hatten sich tiefe Narben gebildet. Sie strich vorsichtig darüber. Er würde immer eine bleibende Erinnerung an dieses schwarze Kapitel in seinem Leben zurückbehalten. Sie konnte es nicht ungeschehen machen.
Er genoss ihre Berührung, wurde auf einmal sanftmütig, ließ ihre Finger durch seine gleiten und spielte dann an ihrem Ring und drehte an ihm.
„Ich habe geheiratet“, sagte sie, als wenn sie sich erklären müsste. Er ließ ihre Hände abrupt los, als hätte er etwas Verbotenes angefasst.
„Ich habe davon gehört. Deinen Exfreund, … Bastian, heißt er, glaube ich. Glückwunsch“, sagte er kurz, „dann kann dein Vater also nicht mehr schalten und walten, wie er will.“
„Nein, das kann er nicht mehr.“
„Freut mich für dich und den Rest der Welt.“
„Ich wünsche dir alles Gute“, sagte sie nach einer kurzen Pause.
„Das war`s?“, fragte er skeptisch. Sie schwieg.
Er stand unvermittelt auf und war im Begriff, zum Polizisten an der Tür zu gehen.
„Warte!“, rief sie ihm hinterher. Er blieb stehen, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Dein Pflichtverteidiger wird sein Amt nieder
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