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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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der Nacht träumte er, dass er noch ein Junge war, sieben Jahre alt vielleicht. Die Mutter putzte ein Haus, das ihm riesig vorkam. Es war die Villa der Sinzingers, wo sie als Flüchtlinge aufgenommen worden waren. Er sah die Mutter ganz klein am weit entfernten oberen Ende der Treppe wischen. In der Küche machte er seine Schularbeiten, in der alten Küche der Sinzingers. Ein Kohleherd mit Eisenringen in den Kochstellen. Die Mutter stand am weiß gescheuerten Ahorntisch, hatte eine große Schüssel vor sich und knetete Teig. Er stellte sich auf einen Hocker neben sie und sah zu. Die Mutter zog ihre Arme aus dem Teig, und er sah, dass sie keine Hände mehr hatte. Die Handgelenke waren glatte, weiße Stümpfe. »Du musst mir die Hände suchen, ich hab sie im Teig verloren«, sagte die Mutter. Mit den Stümpfen schob sie ihm die Schüssel hin. Er krempelte die Ärmel seines Hemds auf, griff in den Teig und wusste nicht, wie er die weichen Hände der Mutter vom weichen Teig unterscheiden sollte. Eigentlich wollte er die Hände gar nicht finden. Er ekelte sich. Je länger er suchte, umso mehr fürchtete er sich davor, im Teig auf Mutters Hände zu stoßen. Er saß auf einer Stufe vor der Tür der Sinzingervilla und weinte.
    Das Bild blich aus und der Traum schwemmte ihn zurück in die Gegenwart. Swoboda erwachte, öffnete die Augen und sah Licht. Er hatte vor dem Einschlafen vergessen, die Lampe auf dem Nachttisch auszuschalten. Das Handtuch unter seinem Kopf war noch nass, aber warm und hatte das Kopfkissen durchfeuchtet. Er setzte sich auf und blickt auf eine touristisch gepinselte Landschaft an der Stirnwand des Zimmers. Er fand das Bild grauenhaft und war dennoch glücklich, dass seine Augen es sehen konnten. Beim Frühstück wurden Törring und er von einem Polizeibeamten in holprigem Englisch informiert, dass Vincent Menendez in seiner Zelle aus seinem Gürtel und dem Zugband seines Anoraks eine Schlinge geknotet und sich am Gitter des Fensters erhängt hatte. Man habe keinen Brief von ihm gefunden. Und sein Oberkörper sei nackt gewesen, sodass man tätowierte kleine Blumen über dem Herzen sehen konnte. »Warum habt ihr ihm nicht den Gürtel weggenommen und nicht auf ihn aufgepasst?« Der Polizist verstand Swobodas Frage nicht, salutierte und verließ den Frühstücks-raum des Hotels.
    Törring brachte eine Schale Obstsalat für seinen einstigen Chef. »Ich weiß, Sie können es nicht leiden, wenn ich mich um Sie kümmere, aber es ist ja keiner da, der es sieht.« Swoboda begann stumm zu essen. Er konnte kaum verbergen, dass er um den Mörder Vincent Menendez trauerte. Er wehrte sich dagegen. Ich bin verrückt , dachte er, der Kerl hat mindestens zwei Menschen auf dem Gewissen und wollte mich blind machen, und ich komme über seinen Tod nicht hinweg. Rüdiger Törring beobachtete ihn und wartete. Er sah, dass Swoboda nicht an den Früchten kaute, sondern an etwas anderem. Swoboda schob die leere Schale von sich weg. »Tu mir einen Gefallen, Turbo, und sei nicht so gut zu mir.« Törring stand abrupt auf. »Halt, warte! Ich meine das nicht so. Du hast mir gestern das Leben gerettet, zumindest mein Augenlicht. Ich komme nicht klar damit, dass dieser junge Kerl –« »Dass er tot ist«, ergänzte Törring nach einer Pause. »Ich finde es auch fürchterlich, nicht nur wegen der Ermittlungen. Er war jünger als ich.« »Tust du mir einen Gefallen, Turbo? Die Fingerabdrücke. In irgendeinem Copyshop dieser Stadt muss es einen Scanner geben, der aus meinen zehn Tesafilmchen eine Datei machen kann. Und wenn du sie hast, geh’ in ein Internetcafé und schick sie Frau Bossi nach Berlin, ja?« Törring nickte. »Wo ist der Karton mit den Prints?« Swoboda schob ihm seinen Zimmerschlüssel zu. Er blieb sitzen im Frühstücksraum des Galaxy , der seit der Nachricht von Domingos Selbstmord kalt war. Swoboda fühlte sich alt und erschöpft. Er winkte dem Kellner und bestellte einen Metaxa.

XII Abendmahl
    Ilse Matt ließ sich nicht abweisen. Sie sah krank aus, das Gesicht bleich und gequollen, die Augen gerötet. Das graue Haar hing in fettigen Strähnen um den Kopf und war offensichtlich schon länger nicht gekämmt worden. Sie trug einen beigen Trenchcoat, den sie bis zum Hals zugeknöpft hatte. Man konnte nicht wissen, was sie darunter trug. »Ich verlange, Herrn Klantzammer zu sprechen. Ich gehe hier nicht weg, bevor ich nicht –« Klantzammer öffnete seine Bürotür. »Ich verlange!«, rief Ilse Matt, ihr Schnapsatem

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