Fest der Fliegen
kommt uns doch entgegen, oder?« »Ja. Sehr gut. Danke.« »Was ist los mit Ihnen? Entschuldigen Sie, aber ich spüre, dass –« »Nichts«, unterbrach er »Nichts. Wir haben hier nur gerade ein anderes Problem, ein lokales, ein Fall von –« Er sprach nicht weiter.
»Von was?« »Sie erfahren es ja doch. Martina ist verschwunden. Es sieht so aus, als ob sie entführt worden ist. Die Galerie ist überfallen worden. Die Bilder sind zerstört. Ein Racheakt. Wir haben ein paar Spuren. Es ist – ich kann jetzt nicht.« In sein Schweigen fragte sie: »Kann ich Ihnen helfen?« Kein dienstlicher Tonfall. Ihre Stimme tat ihm gut. »Wenn Sie es wollen, Alexander, bin ich morgen früh da. Sie können immer auf mich rechnen.« Nach einer kleinen Pause fragte sie: »Hatten Sie Streit?« Swoboda war verblüfft. »Streit? Wieso Streit? Ich war ja nicht da. Ich musste mich ja um diesen Maler und seine roten Bilder kümmern auf dieser Insel in diesem Scheißdorf mit den Scheißknochenhäusern und den Scheißfundamentalisten, die glauben, sie könnten jeden abschlachten, der nicht so denkt wie sie!« Sie gab ihm Zeit, sich zu beruhigen. »Verzeihung. Ich weiß auch nicht, wieso ich Sie anschreie. Es ist gerade nicht leicht hier.« Er wartete. »Martina?« »Ich heiße Michaela.« Das Blut schoss ihm in den Kopf, er schämte sich wie ein Schuljunge. »Entschuldigung, tut mir wirklich leid, ich bin etwas durcheinander.« »Ja, Alexander. Kein Wunder. Mein Angebot steht. Ich komme gern zu Ihnen. Und ich helfe auch wirklich gern, Martina zu finden. Ehrlich.« In einem Verhör hätte ihn die Verbindung von wirklich gern mit dem nachgeschobenen ehrlich stutzig gemacht und zur Annahme des Gegenteils veranlasst. Jetzt, zwischen seinen zerfetzten Bilder und ohne die geringste Idee, wo er nach Martina suchen sollte, fand er das Anerbieten von Michaela Bossi reizvoll. Sie war eine fähige Polizistin. Vielleicht sah sie Spuren, für die er blind war. Sie würde kommen und hier am Tisch sitzen. Eine angenehme Vorstellung. »Nein«, sagte er zu sich selbst. »Alexander? Ich kann Sie ganz schlecht verstehen.« »Ich danke Ihnen, Michaela. Sie haben genug mit diesen katholischen Wahnsinnigen zu tun. Das hier kriegen wir schon irgendwie hin. Ich halte Sie auf dem Laufenden, und Sie sagen mir, wenn Sie etwas Neues haben, ja? Was hört man von Lecouteux?« Sie brauchte eine Pause, um seinen sachlichen Arbeitston zu akzeptieren. »Nichts, was uns weiterbringt. Allerdings haben die Griechen das Mobiltelefon dieses toten Flamen analysiert. Natürlich nicht angemeldet, Prepaid, lief mit einer Karte, die über einen indischen Anbieter gekauft wurde. Zwar sind bei allen Anrufen die Nummern unterdrückt, die Angerufenen haben nicht registrierte Karten aus dem Internet von ukrainischen Providern. Aber wir haben jetzt die Sendezellen, woher die Gespräche kamen und wohin sie gingen. Es gibt eine auffallende Häufigkeit im Sendebereich um Zungen an der Nelda.« »Hier? Dieser Belgier hat hierher telefoniert?« »Ja.« Michaela Bossis Stimme wurde kühl. »Lecouteux fragt sich schon, ob Sie nicht zufällig über ein zweites Handy den Belgier kontaktiert haben?« »Was soll ich denn mit diesen Marienspinnern zu besprechen haben? Der gute Lecouteux flüchtet sich in Verschwörungstheorien, ich verstehe. Meint er das wirklich?« Ein befreites Lachen. »Nein. Wir stochern im Nebel. Noch einmal, Alexander: Ich komme, wenn Sie mich brauchen.« »Danke, Michaela. Wenn das hier vorbei ist und ich die Bilder restauriert habe. Und dann, wie vereinbart, bei einem schönen Sancerre oder Pouilly Fumé trinken wir auf Du.« Er meinte, ihr Lächeln hören zu können. Sie sagte leise »Gute Nacht« und legte sofort auf. Er holte aus dem Kühlschrank der Galerieküche eine Flasche Sancerre Les Belles Dames , öffnete sie und goss sich ein Glas ein. Martina liebte die trockenen, aber schweren Weißweine von der Loire, und dieser war ihr mit seinen über dreizehneinhalb Prozent Alkohol einer der liebsten. Der eiskalte Sauvignon machte ihn wach. Wie gern würde er die Flasche mit Martina leeren. Noch einmal ging er die Fragen durch, die er sich seit Stunden immer wieder stellte, ohne bisher eine einzige plausible Antwort gefunden zu haben. Wer hatte einen Vorteil davon, die Indizien so zu präparieren, dass der Verdacht auf Xaver Sinzinger fiel? Wer war dazu in der Lage und wovon wollte er damit ablenken? Wenn Martina entführt worden war: Wer wollte dadurch was erreichen?
Weitere Kostenlose Bücher