Feucht in Oel - Geheime Genuesse
Tage lebten sie zusammen wie zwei Schwestern. Gemeinsam erkundeten sie die Stadt, shoppten, gingen ins Kino, besuchten Konzertclubs und Discos und verdrehten einigen Männern den Kopf. Auch wenn Linas Spielwiese vorübergehend geschlossen war, kleideten sich die Freundinnen aufreizend sexy und kokettierten mit ihrer lesbischen Lebensweise.
Lina betrachtete sich nie als homosexuell. Auch Sandra schien höchstens »bi« zu sein, mit deutlicher Vorliebe fürs männliche Geschlecht. Doch es machte ihnen einen Riesenspaß, mit der Vorstellung zu spielen. Arm in Arm marschierten sie in knappen Fummeln und überkniehohen Lederstiefeln durch Hamburgs Rotlichtviertel, küssten und befummelten sich und amüsierten sich über die Reaktionen von Passanten und Beobachtern.
So sehr sie dieses Bild der »geilen Barbell -Schwestern« auslebten, so normal waren andere Tage. Leger gekleidet – man höre und staune: auch Sandra kannte Unterwäsche – machten sie Ausflüge ins Umland, wanderten durch Wiesen und Felder und freuten sich über den Sommer, der schon laut anklopfte.
Sie nützten eine kühlen Regentag, der sich zwischen das freundliche Wetter drängte, um das float in der Hamburger Hafencity auszuprobieren. Lina war durch einen Zeitungsbericht neugierig geworden. Die Tester fanden das Schweben im hautwarmen Salzwasser sehr entspannend. »Tiefenentspannung« nannten es die Betreiber. Sie hatten 60 Minuten Paar-Floating gebucht, zu dem ihnen ein eigener Raum mit Salzbecken zur Verfügung stand. Sie wurden freundlich empfangen und vom Personal in die Benutzung des Bads eingewiesen. Sie versperrten die Tür, zogen sich aus, duschten und legten sich nebeneinander in die Salzlösung. Ihre Körper wurden vom Salz getragen. Leise, meditative Musik tönte aus den Lautsprechern.
»Geil«, sagte Sandra, für die es auch eine Premiere war.
»Ja, man fühlt sich ... einfach geborgen.«
»Wie in Mamas Schoß!«
»Da kann ich leider nicht mitreden.«
Sandra dachte zu spät daran, dass Linas Mutter bei ihrer Geburt verstorben war.
»Shit, sorry. Ich muss mir aber auch immer die größten Fetteimer aussuchen. Entschuldige bitte«, sagte sie in einer für Sandra Gärtner untypischen Ernsthaftigkeit.
»Ach, mach dir nichts draus. Schon gut.«
»Uff.«
Lina wollte dem Rat folgen, einfach loszulassen und ihren Geist herunterzufahren. Doch das sollte ihr nicht auf Anhieb gelingen. Das entspannende Ambiente schaltete alle Störquellen des Alltags aus. Die Sinneswahrnehmungen, die sich normalerweise mit Fernsehen, Musik, Straßenverkehr, Telefonaten und vielen anderen Dingen beschäftigen ließen, waren nun ganz auf sie und ihren Körper zentriert. Es gab nichts zu fühlen, nichts zu hören, nichts zu sehen. Nichts, das sich zwischen sie und ihr Innerstes drängte. Sie war sich selbst ausgeliefert.
Statt zu entspannen, wurde sie von allem eingeholt, das sie hinter sich wähnte. Tief in ihr entbrannte eine Diskussion zwischen zwei Parteien, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
›Lina, du läufst davon‹, tönte es aus einem Winkel ihres Bewusstseins.
›Laufe ich davon? Immer noch? Ach was. Quatsch. Ich habe mein neues Leben begonnen. Ich habe das Störende hinter mir gelassen. Die alte Lina gibt es nicht mehr.‹
›Wie lange bist du schon hier? Ein paar Tage? Kein Mensch könnte diese Schicksalsschläge in so kurzer Zeit verdauen, das weißt du genau. Manche nagen ihr ganzes Leben lang daran. Und was heißt alte Lina? Wie alt bist du? 70? Willst du wissen, was ich denke? Du bist immer noch dieselbe, die sich in Markus verliebt und nach ihm gesehnt hat, wenn er mal länger als ein paar Stunden fort war.‹
›Und sich dann mit seinen Dominas vergnügte. Scheiße.‹
›Ja, er hat dir weh getan. Und er hat dafür bezahlt.‹
›Was heißt bezahlt ? Wenn einer bezahlt hat, war ich das. Markus hat der Tod so angetörnt, dass ihm dabei noch einer abgegangen ist, verdammt!‹
›Er hat sein Leben für einen billigen Höhepunkt weggeworfen. Dein Mann. Der, den du schon mit euren zukünftigen Kindern im Arm gesehen hast. Ihr hättet sie auch bekommen, wäre er nicht unter der Latexmaske erstickt. Und du willst mir sagen, dass du das alles einfach so hinter dir gelassen hast? Dass du schon dafür bezahlt hast?‹
›Scheiße, verdammt, nein. Aber soll ich mir diesen Betonklotz für alle Zeiten an den Hals ketten? Noch mehr leiden?‹
›Du sollst nicht davonlaufen , Lina. Der Preis, den du bezahlst, ist zu
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