Feucht
also richtig Grund hast, grottenverzweifelt zu sein, und du dann jemand siehst, die Schnepfe aus dem Büro gegenüber zum Beispiel, wie sie sich bückt und mit einem lauten Ratsch zerreißt's ihr die Hose, oder sie tritt auf den Saum ihrer ach so schicken Designerhose und fällt genau in die Arme des völlig humorlosen Juniorchefs, dann geht es dir doch gleich besser, oder?
Aber schon als ich aus dem Kurpark kam und eine erste Runde durch den Ort drehen wollte, wurde klar, dass ich mich da verrechnet hatte. Bist du schon mal als relativ junge, relativ vital aussehende Frau durch einen Kurort gelatscht? Ich sag's dir: keine bewundernden Blicke, kein neidisches Seufzen. Stattdessen misstrauisches Geäuge, und manchmal wechselt einer die Straßenseite. Wieso ? Ist doch klar. Bei den Leuten mit Krücken oder Gehhilfen sieht man ja gleich, wieso sie hier sind, bei den Alten ist das auch klar, ein bisschen Spaß in der Totenstille Oeynhausens vor der großen Ruhe unter den Radieschen. Aber eine gesunde, junge Frau? Da denkt jeder, Mann, die muss ja echt was haben, und weil man nichts sieht und es im Ort auch Psychokliniken gibt, glaubt jeder, man sei gerade aus der Klapse entlaufen und hat vielleicht im nächsten Moment Schaum vorm Mund, ruft Wotan an oder sammelt Unterschriften für die Heiligsprechung von Dieter Thomas Heck. Ich kann das verstehen, da würde ich auch einen Bogen drum machen.
Und in den Geschäften, ich fass es nicht. Zuerst dachte ich, es ist vielleicht Zufall, aber dann habe ich es gezielt getestet, und es ist kein Zufall. Du kommst also in einen Laden, Biomüslimampf oder Boutique Marke Grandma's Collection, egal, und als Erstes lobt die Verkäuferin deine Handtasche. Ich hab nun echt keine Luxusbeutel, sondern ganz völlig banale Taschen aus Uraltleder oder Plastik, wirklich nichts zum Komplimentemachen. Aber die machen das da. Guten Tag, blabla, was für eine schöne Handtasche. In fast jedem Geschäft, ich hab's im Feldversuch belegt. Irgendwann ist mir dann aufgegangen, wie clever das im Grunde ist. Kundinnen wollen gelobt werden, drum geht man ja shoppen, damit dir jemand sagt, wie toll du bist, und dir dann Sachen verkauft, die dich noch viel toller machen werden. Und in so einem Ort mit der Hauptklientel Wracks gibt es eben irre viel Fettnäpfchen, in die man so als Verkäuferin latschen kann:
«Was flir eine elegante Frisur.» - «Danke, das ist eine Perücke.»
«Schöne Schuhe, solche suche ich selbst schon lange.» -«Das sind orthopädische.»
«Sie bei Ihrer Figur können das tragen.» - «Ich bin magersüchtig.»
Nicht ganz einfach. Also loben sie die Handtaschen. Spaßeshalber hätte ich darauf mal sagen sollen: «Danke, da passen auch meine Herzmedikamente rein.» Ist mir aber leider erst später eingefallen.
Vom Angebot her werde ich übrigens demnächst öfter in Rentnerhochburgen fahren statt Dönerbuden, die ich eh nicht abkann, ein Pralinengeschäft nach dem nächsten. Da hätte es die kosmetischen Anwendungen und Bäder gar nicht mehr gebraucht. Gib mir eine Borkenschokoladentrüffel-Therapie und ich erhole mich ganz von alleine.
Aber apropos Kosmetik. Wenigstens die Douglasdamen wären von mir begeistert, dachte ich, keine Pickel, kaum Falten, gut in Schuss, die müssten doch dankbar sein, mich kosmetisieren zu dürfen. Denkste. Bei diesen lebenden Badeperlen habe ich ja immer das Gefühl, die bestehen nur aus Wimpern mit Lidstrich und riesigen, dunkelroten Mündern. Und wehe dir, du hast nicht genau die Trendfarbe des Monats auf den Lippen, dann kriechst du am besten auf allen vieren in den Laden und verhüllst dein Gesicht so lang, bis du wenigstens einen Hunni in der Kasse gelassen hast.
Da liege ich also gleich am ersten Tag auf so einem weißen frotteebezogenen Zahnarztstuhl und wollte mich eigentlich nur bewundern lassen. Ich sehe gut aus, ich weiß das. Meine Haut ist viel jünger als ich, und meine Wimpern sehen auch ungetuscht geschminkt aus, aber die Dame war nicht zum Schmeicheln gekommen, das machte sie gleich deutlich. Sie erklärte mir also, ich neige auf den Schultern zur Äderchenbildung und solle mein Gesicht niemals, niemals in die Sonne halten, damit das da nicht auch irgendwann «so aussehe». Dabei sah sie selbst aus wie ein Mann, dem jemand ein weibliches Gesicht aufgepinselt hat, nachtätowierte Augenbrauen, die mich an Waigel erinnerten, wenn er als Domina arbeiten würde, und Poren so groß wie Tümpel, dabei einen Charme wie ein Tyrannosaurus.
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