Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Vorhang geht zu. Ich sacke wieder in meine gebeugte Haltung und höre aus dem Aufzug noch eine empörte, altersschwache Stimme: »Was ist das denn? Ach du meine Güte.«
Die machen das bestimmt nicht selber weg. Die kommen nicht darauf, dass es sich in diesem Fall nur um harmloses Periodenblut handelt. Es sieht ja auch so aus, als wäre es aus einer Wunde rausgefallen. Man kann noch nicht mal den Mull als solchen wiedererkennen. So blutgetränkt, wie er ist. Könnte tatsächlich ein Stück Fleisch sein. Menschliches Fleisch. Heutzutage haben ja alle Angst davor, Blut anzufassen. Die werden das melden auf der Station, wo sie aussteigen. Der Vater wird in der Lichtschranke der Aufzugtür stehen bleiben, um den Aufzug und meinen Blutklumpen an der Weiterfahrt zu hindern. Und der Sohn muss auf dem Flur eine Krankenschwester suchen. Die wiederum muss einen Gummihandschuh und einen Müllbeutel suchen, um den Klumpen zu entfernen. Und eventuell noch einen Lappen zum feucht Drüberwischen über die verschmutzte Stange.
Sie wird sich bei Vater und Sohn bedanken. So viel Zivilcourage in Sachen Hygiene. Dann landet mein Werk im Spezialkrankenhausmüll.
Ich bin schon in der Cafeteria angekommen. Das Geld ist inzwischen in beiden Händen gewesen und hat etwas Blutschmiere dran. Die Finger, mit denen ich in mir war, haben auch ganz klar Blutreste unter den Nägeln. Blut wird an der Luft braun. Dann sieht es eher aus wie Kacke oder Erde. Meine Periodenhände sehen jetzt aus wie dreckige Kinderspielhände. Kau ich später raus. In der Öffentlichkeit die Nägel mit den Zähnen reinigen sieht aus wie Nägelkauen, und das finde ich nicht gut. Nägelkauen wird von fast jedem Menschen als psychische Schwäche erkannt. Unsicherheit. Nervosität. Das gehört ins stille Kämmerlein. Fressen oder gefressen werden. Einen Kaffee bitte. Als Belohnung für den weiten Weg gönne ich mir heute Karamellgeschmack.
Ich bezahle mit meinem Blutschein. Und freue mich, dass dieser Schein früher oder später die Runde machen wird. Erst wird er hier in der Kassenschublade unter der Plastikklammer festgeklemmt. Bis er als Rückgeld passend ist. Dann wandert er in das Portemonnaie eines Kranken und wird später, wenn der entlassen ist, in die Welt hinausgetragen. Wenn ich einen Schein mit Blut dran von irgendwoher bekomme, denke ich immer zuerst an eine Nasenverletzung durch exzessives Koksziehen. Da landet oft etwas Blut an dem Teil des gerollten Scheins, der in der Nase steckt. Bisschen Popel, bisschen Blut. Vielleicht sollte ich umdenken. Gibt doch mehrere Wege, wie Blut an Scheine gelangt. Ich trage meine Tasse Kaffee und mein Münzrückgeld an einen leeren Tisch in der Cafeteria. Ich habe es geschafft. Ich sitze hier wie ein normaler Krankenhausmensch und trinke einen Kaffee. Ich habe einen langen Weg dafür zurückgelegt und unterwegs mindestens drei Menschen durch Unhygiene verwirrt. Ein guter Tag.
Ich will mir, während ich hier sitze und Kaffee trinke, überlegen, wie ich es schaffe, länger im Krankenhaus zu bleiben. Irgendwie muss ich mir eine weitere Verletzung zufügen oder die alte wieder aufreißen. Aber wie, damit es nicht aussieht wie Absicht? Damit die Eltern nichts vermuten? Und die Ärzte. Der Cafeteriaraum füllt sich langsam. Wohl gerade beliebte Kaffeetrinkzeit. Die meisten, die hier sitzen, wollen so schnell wie möglich raus. Ich will so lange wie möglich bleiben. Ich glaube, die einzigen Menschen, die sonst gerne so lange wie möglich in Krankenhäusern bleiben wollen, sind Penner. In unserer Stadt gibt es den blinden Willi. Ich weiß nicht, warum ihn alle so nennen, er ist nämlich nicht blind. Auf jeden Fall nicht, wenn ich mit ihm rede. Ich will ihm immer was geben. Mama sagt, wenn man ihnen Geld gibt, saufen sie sich nur schneller zu Tode oder kaufen Drogen. Sie hat keine Ahnung. Wenn ich ohne Mama in der Stadt war, habe ich immer mit ihm geredet und mich ganz nah an sein Gesicht rangetraut, um ihn zu beschnuppern. Kein bisschen roch der nach Alkohol. In dem Punkt hatte sie schon mal unrecht. Und das mit den Drogen hab ich ihn gefragt. Er hat nur gelacht und den Kopf geschüttelt. Das glaube ich ihm. Also habe ich Mama Geld aus dem Portemonnaie geklaut und für ihn aufbewahrt. Wenn ich ohne Mama in die Stadt gegangen bin, hab ich es ihm gegeben und gesagt, es sei von meiner Mutter. Viele Grüße. Er solle sich aber nie bei ihr bedanken, erzählte ich ihm, sie wolle nicht, dass Leute sie in der Öffentlichkeit mit
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