Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
die Patienten beklaut. Ich hätte das gemeldet und sie wahrscheinlich ihren Job verloren.
Aber warum hat sie dann die Schublade überhaupt geöffnet?
Vielleicht will sie nur gucken, was die Leute so haben. Vielleicht ist es ein Tick von ihr oder ein Fetisch. Kann man auch Hobby nennen.
Das findet man nie raus. Selbst wenn ich sie fragen würde, weiß ich ganz genau, sie würde nicht ehrlich antworten. So sind die Leute leider.
Ich würde meine Fetische ehrlich preisgeben. Aber mich fragt keiner. Da kommt niemand drauf.
Ich gucke noch mal ganz genau nach. Denke ganz genau nach. Aber es stimmt wirklich. Es fehlt nicht die kleinste Kleinigkeit.
Ich klettere wieder auf mein Bett drauf und klingele die Notbimmel. Eine Krankenschwester kommt überraschend schnell rein, und ich erkläre ihr, dass die Putzfrau grad da war und einen großen Wasserfleck in der Ecke übersehen hat. Ich lüge und sage, es sei mir ein Wasserglas dahin umgekippt. Sehr glaubwürdig, Helen. Manchmal bist du wirklich komisch. Wie soll denn das passiert sein? Außer du hast es volle Kanne absichtlich da in die Ecke gepfeffert. Die Schwester fragt nicht nach, wundert sich noch nicht mal, jedenfalls merke ich nichts davon. Und ruft auf dem Flur die Putzfrau zurück ins Zimmer.
Die kommt rein und macht große Augen, weil ich da plötzlich auf dem Bett throne. Ich halte meine Bettdecke vor mein nasses, durchsichtiges Hemdchen.
Die Schwester zeigt hinter das Bett und sagt in einem fiesen Befehlston und in extra gebrochenem Deutsch, was die Putzfrau tun soll.
Die Schwester verschwindet durch die Zaubertür. Die Putzfrau entsichert mein Krankenbett, ohne mich zu fragen, und schiebt mich mitsamt dem Bett weg von der Fensterbank. Das gibt zwar ein schönes Gefühl, wie auf einem fliegenden Teppich, wie man sich das eben so vorstellt, die gibt es doch nicht in echt, oder? Die Fahrfreude lasse ich mir aber nicht anmerken, man soll nämlich sauer sein, wenn man einfach mit dem Bett weggeschoben wird, als wäre man ein Gegenstand oder im Wachkoma.
Ich bin, anders als auf einem Autositz, auf meinem Krankenbett auch sehr kurven- und bremsanfällig. Als sie das Bett nach zwei gefahrenen Metern plötzlich stoppt, falle ich fast raus. Ich stoße einen spitzen Schrei aus. Das mache ich immer, wenn mir was passiert, was Gutes oder was Schlechtes. Ich schreie laut. Wenn ich ein klein wenig stolpere, lasse ich einen großen Schrei los. Immer alles rauslassen, lautet meine Devise, sonst kriegt man Krebs. Auch im Bett bin ich sehr laut mit der Stimme dabei. Ich bin ja jetzt auch im Bett. Aber anders.
Nach meinem Schrei kann ich einen Mundwinkel der Putzfrau zucken sehen, und zwar nach oben, nicht nach unten. Ha. Schadenfreude entdeckt. Das macht mich wütend. Ich nehme mir vor, wenn sie mal im Krankenhaus liegt und hilflos ausgeliefert ist, sie auch in ihrem Bett rumzufahren wie Aladin, und wenn sie schreit, zucke ich auch so mit den Mundwinkeln nach oben, dass sie es genau sieht. Das schwöre ich. Helen. Sehr beeindruckend.
Während ich mir dieses ganze Tausendundeine-Nacht-Rachezeug ausdenke, hat sie sich schon an der Pfütze zu schaffen gemacht. Sie ist sehr schnell mit ihrem Wischmopp. Sie macht immer wieder das Unendlichkeitszeichen, das wir in der Schule gelernt haben, auf der Stelle, bis das ganze Wasser aufgesogen ist. Die liegende Acht. Und noch mal und noch mal.
Mir fällt was ein. Meine Lunge oder mein Herz oder was da ist, macht einen Sprung, dass mir schlecht wird. Mein Blick wandert die Heizungslamellen hoch, und da liegt er. Mein blutiger Mullklumpen. Oh, nein. Vergessen. Bis jetzt hat sie ihn noch nicht gesehen. Die Ablagefläche der in die Wand gebauten Heizung gehört bestimmt nicht zu ihren Hauptputzstellen. Ich könnte Glück haben, und sie putzt nur an der Ecke rum, um die trocken zu kriegen, und guckt überhaupt nicht höher, als ihr Wischmopp ist. So versuche ich mich selber zu beruhigen. Ich wünsche mir sehr, dass sie den Blutklumpen nicht sieht. Komisch, was mir manchmal entsetzlich peinlich ist und was einfach geht. Wenn sie schon Bah! sagt beim Blick in meinen Mülleimer, was macht sie erst, wenn sie meinen Blutklumpen entdeckt? Bitte nicht.
Ich sage Dankeschön und bitte sie, mich wieder an die Fensterbank zu schieben, obwohl sie noch nicht aufgehört hat zu wischen. Sie soll mich wie eine Rollstuhlpatientin an meine übliche Stelle schieben und abhauen.
Sie lehnt den Mopp an die Wand am Fußende. Packt sich mit ihren starken
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