Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
ich hatte noch keinen Stuhlgang.«
»Das wollte ich gar nicht wissen. Ich wollte nur mal die Tüte in Ihrem Mülleimer wechseln. Sie sind doch so eine fleißige Mulltuchwegwerferin.«
»Mein Arsch ist ja auch ein fleißiger Blut- und Kackeschwitzeproduzent.«
Mein Vater und die Krankenschwester, die auf ihrem Schildchen Valerie stehen hat, gucken erstaunt. Tja, da guckt ihr. Na und? Mich nerven langsam diese Verniedlichungen von den Krankenschwestern.
Die Schwester zieht sehr schnell den vollen Müllsack aus meinem kleinen Chrommülleimer, bindet einen feinen, kleinen Knoten oben rein und schlägt feste den neuen Sack auf wie einen Windbeutel, um ihn im Eimer zu versenken. Sie beobachtet meinen Vater beim Aufpusten.
Sie lässt den Deckel vom Mülleimer sehr laut zuschlagen und sagt im Rausgehen: »Falls das Kissen für die Patientin ist, da würde ich von abraten. Reißt alles wieder auf, wenn sie sich da draufsetzt. Ist nur für Leute mit nicht operierten Hämorrhoiden.«
Mein Vater steht auf und legt das Kissen in meinen Kleiderschrank. Er scheint traurig zu sein, dass er mir etwas Lebensgefährliches geschenkt hat.
Und was passiert als Nächstes? Er sagt, er müsse sich auch bald mal wieder auf den Weg machen. Die Arbeit wartet. Was arbeitet er eigentlich?
Es gibt so Sachen, wenn man die nicht früh genug fragt, dann kann man sie niemals fragen.
Weil ich jetzt schon so lange mit Jungs beschäftigt bin, war es mir all die Jahre ganz egal, was mein Vater arbeitet. Ich kann nur aus dem, was andere beim Familienessen früher angedeutet haben, erraten, dass es was mit Forschung und Wissenschaft zu tun hat.
Ich nehme mir vor, wenn ich aus dem Krankenhaus rauskomme, was hoffentlich noch lange hin ist, bei Papa in seinem geheimen Schrank nach Hinweisen zu suchen, was er arbeitet.
»Ok, Papa, viele Grüße an die Kollegen von Unbekannt.«
»Welche Kollegen?«, sagt er leise, als er durch die Tür geht.
Ganz schön viele graue und silberne Haare hat der bekommen. Der stirbt bald. Das heißt doch, ich muss mich bald von ihm verabschieden. Am besten gewöhne ich mich jetzt schon daran, dann tut es nicht so weh, wenn es so weit ist. Ich mache mir eine Notiz in mein vergessliches, durchlöchertes Gehirn: schon mal in aller Ruhe von Papa Abschied nehmen. Wenn es so weit ist, wundern sich alle,
warum ich so gut damit zurechtkomme. Trauerwettstreit gewonnen durch vorgezogene Trauerarbeit.
Jedenfalls hat dieser sehr kurze Besuch meines Vaters dazu geführt, dass ich jetzt weiß, wie ich es anstelle, länger im Krankenhaus zu bleiben. Ich muss mich nur exzessiv auf das Ringkissen setzen und alles reißt wieder auf. So hat es Valerie, die Eingeschnappte, doch versprochen. Ich darf mich nur nicht erwischen lassen. Ich nehme eine Schmerztablette. Kann ich bestimmt gleich gebrauchen, ein bisschen Betäubung.
Mit meiner erprobten Methode gleite ich auf dem Bauch vom Bett runter und gehe gebeugt und unter zwickenden Schmerzen zum Schrank. Ich öffne die von meinem Vater abgeschlossene Tür. Da unten auf dem Boden liegt der Übeltäter. Normal runterhocken mit geknickten Beinen geht nicht. Schmerzt zu sehr. Ich muss mir eine andere Form des Aufhebens überlegen. Ich lasse die Beine gerade und knicke mich nur im Hüftbereich. Lasse auch den Rücken gerade. So, jetzt sehe ich aus wie ein umgedrehtes L. Ich komme ganz knapp mit der Hand an den Ring. Geschafft. Rücken wieder hochkurbeln. Und den Rückweg antreten. Am Bett angekommen lege ich den kleinen Rettungsring aufs Bett, ziemlich am Rand, damit ich mich aus dem Stand draufsetzen kann. Ich drehe mich mit dem Arsch zum Bett und lasse mich wie ein Vogel auf seinem Nest nieder. Ich wackele ein bisschen mit dem Arsch rum. Einmal hin, einmal her, rundherum, das ist nicht schwer. Durch die Bewegung auf dem Kissen spannt die Haut an der Wunde sehr. Ich stehe auf und fühle mit der Hand da hinten rum. Ich gucke mir die Hand an. Kein Blut! Zu viel versprochen, Valerie.
Was jetzt? Der Plan war gut, die Wunde wieder aufzureißen. Klappt aber nicht mit dem Kissen. Ich pfeffere es aufs Bett. Ich suche mir einfach was anderes zum Arschaufreißen. Okay, Konzentration, Helen. Du hast nicht viel Zeit. Du weißt, wie oft hier die Tür auffliegt und Zeugen reinkommen. Ich gucke mir alle verfügbaren Gegenstände im Zimmer an. Metallnachtschrank: nützt nichts. Wasserflasche auf Nachtschrank: kann man zwar einführen, sich aber, glaube ich, nicht so mit verletzen, wie ich es vorhabe.
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