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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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und erfährt, dass es noch einen Zug vor dem Nachtexpress gibt; er wäre dann gegen sechs Uhr morgens in Amsterdam, eine Stunde früher als sie. Und er packt seine Tasche ein zweites Mal und findet im Seitenfach den Hasen.

    Die großen gelben Wandkacheln im Bahnhof Zoo. Die Melancholie der niedrigen Halle. Der Kessel mit den Brühwürsten, die halbe Scheibe Toast. Seit langem schon träumt er davon, eine Geschichte zu schreiben, die anfängt mit den Worten »Als es noch Bahnsteigkarten gab …« Das muss irgendwann in seiner Kindheit gewesen sein. Die Waggons der Deutschen Reichsbahn sind überraschend leer, er hat einAbteil für sich. Die Wandverkleidung und die durchgehenden Sitzbänke haben den typischen DDR-Geruch nach »Plaste und Elaste«, und über der Kopflehne hängt ein Foto vom Thüringer Wald. An der Station jenseits der Mauer ist nichts verändert; Mondlicht blitzt auf in den Schiebefenstern des Turms, und die Uniformierten mit den kleinen, vor den Bauch geschnallten Bürokoffern sehen schweigend dem Einfahren des Zuges zu. Auf den Abstellgleisen im Hintergrund stehen Tieflader voller Panzer, mit Planen verhängt; nur die Kanonen ragen hervor. Motten flattern gegen die hohen Lampen, und der Staub ihrer Flügel rieselt herab.
    Die Männer, die Linke lässig an der Hosennaht, während der rechte Arm auf dem Aluminiumrand des Koffers voller Stempel und Quittungen ruht, nicken dem Lokführer zu und steigen ein. Ein paar gehen gleich in den Speisewagen oder schäkern mit der Schaffnerin, doch der Beamte, der Wolfs Abteiltür öffnet, hält sich nach wie vor an die Pflicht. Grußlos mustert er die Gepäckablage, knickt leicht ein in den Knien, um unter die Bänke zu sehen, und verlangt dann »die Reisedokumente«. Alles ist wie immer: Auch er riecht weder nach Schweiß noch nach Deodorant oder Rasierwasser, das hellgraue Hemd ist gestärkt, seine Fingernägel sind makellos sauber, der Ehering sitzt, wo er hingehört. Hinter den Fenstern die lichtlose Republik. Nachdem er die Personalnummer mit denen auf dem Fahndungszettel verglichen hat, schiebt er ein oft gebrauchtes, von den vielen eingedrückten Namen fast durchsichtiges Kohlepapier unter die Transitbescheinigung undfüllt sie aus, mit dienstlicher Miene. Doch als er sie in den Pass legt, einen Schritt über die Schwelle macht und ihm beides hinhält, ist ein dünnes Lächeln in seinem Gesicht, ein wohl melancholischer und einen Lidschlag lang auch amüsierter Ausdruck, als wüsste er, dass er soeben die Luft gestempelt hat. Dann wünscht er eine gute Reise.

    Langsam kommt der Zug in die alte, von der Morgensonne durchglühte Halle der Centraal Station, in der sich die Lautsprecherstimmen vom Band mit den live gesprochenen Hinweisen und dem Klatschen von Taubenflügeln mischen. Auf den Bahnsteigen unzählige Menschen, die zur Arbeit müssen, ein stummes, vom Schnarren und Klicken der Entwertungsautomaten skandiertes Strömen, dem man nur im Weg stehen kann, und Wolf tritt aus dem Blumenladen und wartet hinter einer Stelltafel, die auf künftige Streiks hinweist.
    Während die Druckluftbremsen zischen und die Strombügel eingefahren werden, hämmert sein Herz vor Aufregung; er schwitzt sogar ein wenig und hat gleichzeitig kalte Füße, und obwohl sie fünf oder sechs Waggons entfernt auf die Plattform tritt, sieht er Alina sofort. Jemand reicht ihr den Koffer, und das mit einer Hand zurückgestrichene Haar fällt ihr wieder in die Stirn, als sie sich bedankt, ein Nicken. Blass ist sie, mit umschatteten Augen, und bemerkt ihn schon nach den ersten Schritten hinter dem Schild, ohne sichtbare Überraschung. Sie hält sich den blauen Regenmantelvor der Brust zusammen und zieht ihren Koffer durch die Menge, und also tritt er hervor aus seiner Deckung, blickt ihr unbewegt entgegen, wird immer wieder angerempelt und bleibt doch stehen. In der Hand die ironische Rose.
    In ihrem Gesicht ist etwas, das ihn an ein Kind denken lässt, ein gutes und friedliches, dem man Übles zugefügt hat, nur weil es schön oder vornehm ist – und das die Hässlichkeit dieser Tat nur noch schöner, noch erhabener macht, trotz der Tränen. Verletzt wirkt sie und gleichzeitig wie geklärt von der erstaunlichen Entdeckung einer tieferen, unter der Wunde hervorscheinenden Unverletzlichkeit. »Wieso bist du hier?«, fragt sie leise, während über ihnen die Zahlen und Buchstaben der Anzeigentafel rattern, und obwohl er sie verstanden hat, klingt es ihm wie »Was machst du mit mir?«,

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