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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Trägheit oder Schwäche entstandene Wille, sich daran zu gewöhnen. So sehr sie ihre neue Umgebung mögen – was Wolf schon bei der Besichtigung der Wohnung dunkel ahnte, wird nach wenigen Wochen zur Gewissheit: Der späte Mai ist warm, fast sommerlich heiß, und das Dach erweist sich als nur unzureichend isoliert. Sie leben wie in der Backröhre, und durch die notgedrungen offenen Fenster brandet der Verkehrslärm, der sich nach der Sperrung einer Umgehungsstraße noch verstärkt hat. Im Bad tritt Schimmel unter dem Anstrich hervor, die stillgelegten Kamine stinken immer gasiger, und Wolf schläft nur noch flüchtig und hat dauernd Kopfschmerzen und Alina entzündete Augen. Die Vermieterin kann sich das nicht erklären; schließlich hätte eine Familie mit Säugling vor ihnen ohne jede Beschwerde in den Räumen gelebt. Doch der Westberliner Baubiologe, den sie deswegen anrufen, will erst gar nicht zu ihnen herauskommen. Es sei immer dasselbe im Osten, sagt er, besonders in ausgebauten Dachgeschossen. Um die Wende herum restauriert, habe man in den Häusern noch alle möglichen Lagerbestände aus der DDR oder Polen verwendet: formaldehydgetränkte Hölzer, Dämmplatten aus Asbest, ätzende Kleber und billigste Lasuren, die in der BRD seit Jahrzehnten verboten sind, das reine Gift. »Ziehen Sie aus«, rät er ihnen nach einem Hinweis auf voraussichtliche Allergien, auf Nervenschäden und auch Krebs. »Das ist nur mit einem Streichholz zu beheben.«
    Doch noch können sie nicht glauben, einen falschenSchritt gemacht zu haben, noch zögern sie; der Umzug hat zu viel Kraft gekostet. Außerdem muss das Buchmanuskript fertig werden, der Verleger hat bereits angerufen und sich nach dem Stand der Arbeit erkundigt und einen Entwurf für das Cover erbeten, und so beschließen sie, erst einmal auszuharren. Um die Raumluft zu klären, stellen sie überall Bergkristalle auf, Grünlilien und Efeututen, und wenn die Hitze zu groß wird, setzten sie sich in Unterhemden ins kühle Treppenhaus, auf die gebohnerten Stufen, wo Wolf mit dem Laptop auf den Knien weitertippt und Alina in Zeitschriften blättert oder aus den vielfarbigen Fenstern hinausträumt, bis es dämmert und die ersten Krähenschwärme zu ihren Schlafbäumen treiben.
    Aber als sie eines Tages von einem Gang durch das Hirschgartendreieck heimkehren, einem nahe gelegenen Park, ist außerdem noch Rauch in ihrer Wohnung, Zigarettenrauch, und eine Schrecksekunde lang denken sie an Einbrecher. Das Türschloss freilich ist unversehrt, und so wird er hereingeweht sein von den Balkonen ringsum. Doch als sie die Fenster schließen, ändert sich nichts, im Gegenteil; der Rauch nimmt zu mit den Stunden, und nun besteht kaum Zweifel, dass er aus der Wohnung unter ihnen kommt. Oft schon war Kaffee- oder Putzmittelduft durch den Dielenboden gedrungen, und manchmal können sie sogar riechen, wenn die junge Mutter Windeln wechselt; wer in einem Kreuzberger Hinterhaus gelebt hat, ist Schlimmeres gewohnt. Wolf muss an die bunt besprühten Ratten der benachbarten Punkerin denken. Sie hatten sich durch die Gipswand gefressen …
    Der Rauch allerdings ist nicht hinzunehmen; er verursacht schon aus Empörung Luftnot, denn wie viele Konvertierte hat er einen beklemmenden Ekel vor Zigaretten und ihrem Aroma entwickelt. Erneut ruft er die Vermieterin an, deren kalte Aufmerksamkeit ihm bereits dreist vorkommt, ein unausgesprochenes »Der schon wieder!« Auch das neue Phänomen ist ihr angeblich ein Rätsel; doch als Wolf nicht nachgibt und sogar eine Mietminderung ankündigt, hört er momentlang nichts als das Fiepen eines Faxgeräts im Hintergrund und glaubt, sogar an der Sprechmuschel Nikotin zu riechen. Dann räuspert sich die Frau und sagt mit zähnebleckender Freundlichkeit, dass ihr Sohn, ein Brückenbauer, von der Montage zurückgekehrt sei und zwar rauche, aber nicht in der Wohnung, des Babys wegen. Höchstens abends mal, beim Fernsehen, wenn die Süße schlafe. Das könne man hart arbeitenden Menschen kaum verdenken, oder? Jedem Tierchen sein Pläsierchen. »Zudem, junger Mann, werden Sie sich erinnern: Ich habe Sie und Ihre Frau beim Unterschreiben des Vertrages ausdrücklich gefragt, ob Sie rauchen …«
    Wolf bleibt die Luft weg. Tatsächlich hatte es diese Frage gegeben, und auch wenn er fand, dass sie das nichts anging, schien es ihm die nahezu natürliche einer Hausbesitzerin zu sein, die sich sorgt um den Zustand ihrer Räume und Böden. Dass sie damit aber nicht nur sondiert

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