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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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hatte, ob Alina und ihn Zigarettenrauch stören würde, sondern gleichzeitig angekündigt haben will, es werde derartige Belästigungen geben, verschlägt ihm jetzt die Sprache. Außerdem kränkt esihn tief, dass sie ihn offenbar für so schafartig hält, ihre Gerissenheit nicht zu bemerken, und das macht diese kleine Infamie zum Embryo eines Monsters. Alinas kürzlich in den Raum gestellte Frage, wie Bürger der ehemaligen DDR, eines vorgeblich sozialistischen, dem Privateigentum abholden Staates also, an drei große Häuser mit über vierzig Wohnungen kommen, fällt ihm wieder ein, und er muss an Fernsehbilder nach dem Fall der Mauer denken: Die empörten Menschen, die in Massen die Stasizentrale stürmten und zum Teil auch verwüsteten und lautstark nach ihrer Akte verlangten, und die er für Bespitzelte oder vom Staat drangsalierte gehalten hatte, was sonst. Es waren aber in der Mehrzahl panische, um ihre Enttarnung besorgte Spitzel gewesen, Informelle Mitarbeiter, die jetzt Angst hatten vor ihren Nachbarn, Kollegen oder Ehepartnern und noch schnell so viele Spuren und entlarvende Vermerke wie möglich getilgt sehen wollten.
    Das Telefonat mit der Frau endet frostig, sie spricht von einer Top-Wohnung in einer Top-Lage und könne nicht verstehen, was da dauernd zu bekritteln sei; das habe es ja noch nie gegeben. In einem Mietshaus müsse man eben Rücksicht nehmen. Wolf, der keinen Anwalt hat, droht mit seinem Anwalt und legt auf, und wie immer, wenn er ratlos ist, findet er sich dümmer als seine Strümpfe. Doch als wenig später die Stromrechnung ansteht und sie auf der Liste im Kasten des Zählers sehen, dass sie die zwölften Mieter in elf Jahren sind, kündigen sie die Wohnung zum Monatsende. Alina weint, ist aber erleichtert und schaltet denComputer an, um nach einer neuen zu suchen, unbedingt in Friedrichshagen. Wolf setzt sich wieder an seinen Text.

    Wer seine Zeit versteht, lässt vom Siegen ab: Die zerfledderten und vergilbten, zum Teil über ein Vierteljahrhundert alten Notizbücher riechen nach Hundefell.

    Die letzte Abstumpfung, life. Der Schrecken ohne Ende, nach einer kurzen Werbeunterbrechung. Blitze zucken über den Bildschirm, und im Licht der Nachtkameras sehen sie bleicher aus, als sie sein können, die aus den Betten gejagten Frauen und Kinder, die über den Hausrat stolpern, den Soldaten aus ihren Schränken reißen. Grüne Lichtpunkte glimmen auf in den Augen der gefesselten, auf Lastwagen hockenden Männer, kurz bevor man ihnen Säcke und Tüten über die Köpfe stülpt. Einem Greis, der mit blutverschmiertem Gewand zwischen umgekippten Plastikstühlen liegt, glaubt man nicht, dass er tot ist, und erschießt ihn vor laufender Kamera noch einmal. Der Leichnam bäumt sich auf von der Wucht der Projektile. »I did my job«, sagt der Soldat.
    In dem Sommer erhält Wolf eine Einladung nach Amerika. Zusammen mit anderen deutschen Autoren soll er sich im New Yorker Goethe-Institut zu den Anschlägen vom 11. September und der terroristischen Bedrohung äußern. Wie kann Literatur darauf reagieren, istdie Frage. Man bietet ein erstaunliches Honorar und erinnert sich sogar an seine sentimentale, vor gut zehn Jahren geäußerte Vorliebe für das Chelsea-Hotel, seinen verkommenen Charme. Doch er lehnt ab. Was immer er zu sagen hätte – es wäre kaum originell, wenn er sich der gebräuchlichen Syntax bediente, und schon gar nicht politisch korrekt, wenn er äußern würde, was er wirklich denkt angesichts der Fernsehbilder. Außerdem reist er nicht gern in das Land, hat es noch nie getan, nicht einmal Anfang der achtziger Jahre, als es zum Stil der Szene gehörte, eine Weile in New York gelebt zu haben.
    Trotzdem war er mehrfach dort gewesen, für Wochen oder Monate, in seinem Beruf. Anfangs durchaus bereit, an ein Geheimnis der Amerikaner zu glauben, eine besondere Kraft, wurde er allerdings schon in den ersten Nächten auf dem fremden Boden aus dem Schlaf gerissen von ungeheuren Träumen voller Gewaltorgien, in denen er Köpfe und Genitalien abschnitt, Herzen herausriss und Blut trank. Und dass das Land der Freien aus lauter Fernsehsklaven besteht, die einzig und allein in Dollars denken und sich kaum rühren können vor lauter Bürokratie, wollte auch nicht recht passen zu seinem Klischee von den Highways in der weiten, blau überwölbten Prärie. Die Beantragung und Bewilligung einer Social-Security-Card, für seine kurze Zeit als Collegelehrer nötig, gestaltete sich wie eine böse Komödie in

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