Feuer brennt nicht
Westen stammende Paare, für die die Entdeckung des Ortes der willkommene Anlass ist, endlich die Boheme-Zeit hinter sich zu lassen. Die meisten chauffieren die statistischen zwei Kinder hinter den Plastikfenstern ihrer Fahrradanhänger durch die Straßen, und denen, die noch keine haben, sieht man das Wort »Familienplanung« an. Und es ist ja auch ein guter Ort, um Nachwuchs aufzuziehen; es gibt Geburtshäuser und Tagesstätten, private und staatliche Schulen, es gibt jede Menge Secondhandläden für Babykleidung, vergleichsweise wenig Verkehr und viele Gewässer, an denen die Jungen die Schwäne mit Brot und die Greise sie mit Rinde füttern. Die Cafés und Restaurants sind leidlich, und auf die Nachtruhe ist, im Gegensatz zur Innenstadt, Verlass. Nach dreiundzwanzig Uhr sind alle Fenster dunkel.
Alina bestellt zwei Fahrräder bei einem Versandhandel, schicke Aluminiumflitzer, auf denen sie die Umgebung erkunden wollen, die Wälder bis nach Erkner und Grünau. Auch nach Buckow oder gar ins Oderbruch wäre es nicht allzu weit. An dem Tag aber, an dem sie geliefert werden, sehen sie einen Unfall in der Ahornallee. Die Fahrerin eines Trabant hat einen jungen Biker gerammt, der nun auf der Bordsteinkante hockt und sich die blutende Stirn hält. Passantenreichen ihm Papiertaschentücher, doch er blickt verständnislos zu ihnen auf. Der Kunststoffwagen tuckert im Leerlauf vor sich hin, sein Qualm taucht die Szene in ein zartes, atemberaubend stinkendes Blau, und zu Hause ruft Wolf den Versandhandel an und lässt die beiden Räder, die noch verpackt im Treppenhaus stehen, umgehend wieder abholen.
In dem Streit mit Alina, der darauf folgt, entlädt sich die Nervenanspannung der letzten Wochen. Sein empfindlicher Magen revoltiert. Das noch pendelnde Stofftier unter dem Rückspiegel des Zweitakters, das Blut auf dem Kopfsteinpflaster, die geknickten Speichen – dass er die Welt liest wie einen Text und überall Zeichen sieht, meistens für ein Unheil, hält sie in ihrem heiteren Pragmatismus zwar für unterhaltsam, zudem sie eine erstaunliche Gelenkigkeit darin entwickelt hat, ihm das Gegenteil zu beweisen. Doch wird sie rasch betrübt, wenn er sich nicht überzeugen lässt von ihrer hellen Sicht und beharrt auf seiner finsteren. Und diese stille, ihr Profil so schön hervorhebende Trauer, die der gleicht, die man einem Menschen gegenüber empfindet, der auf eine besonders dumme Art sein Leben ruiniert, macht ihn aggressiv.
Das mit den Jahren entstandene Bewusstsein, dass das Streiten eine klärende, fast schon hygienische Maßnahme zwischen ihnen geworden
ist, nach der sie wieder inniger miteinander umgehen, ändert nichts an seiner herben Lust, sie dabei zum Weinen zu bringen; diese Macht zu haben, findet
er ungeheuerlich, ein Geschenk des Teufels – und eine Entschädigung dafür, nicht auch über jene traurige Küchen-Dialektikzu verfügen, mit der sie die meisten Streitpunkte mir nichts dir nichts so verdreht, dass am Ende er die Schuld hat. Denn nur weil sie weint, ist sie nicht nachgiebig; ein Mangel an Widerspruch, davon ist sie überzeugt, würde seine Achtung für sie mindern, von ihrer Selbstachtung nicht zu reden, und das letzte Wort zu haben bereitet ihr offenbar so viel Genuss wie der abschließende, alles vervollkommnende Strich mit dem Nagellackpinsel.
Dabei ist das Theater der Erbitterung nicht ohne Komik; sie erfahren es, als sie einmal kurz davor sind, einander zu schlagen. Das Kinn erhoben, die Zähne zusammengebissen und die Augen stier, stehen sie einen Moment lang wie erstarrt in ihrem Unglauben, ehe sie langsam die Fäuste sinken lassen und ein Grinsen voreinander verbergen, indem sie trotzig nur noch lauter werden. – Und schon am nächsten Tag entpuppt sich der Krach als beinahe nichts, ein Gewitter in der Mikrowelle, schon am übernächsten werden sie nicht wissen, was genau der Anlass für seine Wut und ihre Tränen, ihr Schreien und das Türenknallen war, und als Wolf schließlich zu ihr geht, ist er nicht einmal sicher, ob er sich überhaupt entschuldigen muss bei Alina; er kann nur die angespannte, die Wohnung enger machende Atmosphäre zwischen ihnen nicht ertragen; die Trostlosigkeit, die im Rechthaben liegt, ist genauso bitter, wie klar im Unrecht zu sein. Aber da kommt sie ihm schon zuvor, legt die Arme um ihn, drückt die Stirn gegen seine und bittet ihn flüsternd um Verzeihung.
Am Ende ist es weniger das Missliche, das einen unfroh macht oder krank, als vielmehr der aus
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