Feuer brennt nicht
Abgründiges oder Dämonisches oder Dreckiges im Leben eines Menschen, als wäre alles mit Vernunft und einer frischen Slip-Einlage zu lösen. Und trotzig sagt er: »Du sitzt da auf deiner Spalte und willst gestoßen werden, und tust so, als würdest du etwasganz anderes wollen. Der Feminismus hat den Frauen doch nur Unheil gebracht.«
Sie schweigt eine Weile, was an sich schon eine Maßregelung sein soll. Sie steckt sich eine Zigarette an und bläst den Rauch sehr fein durch die Nase. »Das war dumm«, sagt sie schließlich, und schon spürt er ihn auf den Lippen, den herbsüßen Geschmack der Schuld, und blickt zu Boden, wo ihre Schuhspitze wippt.
Doch dann knüllt er die Serviette zusammen und steckt den Bleistiftstummel in die Tasche. » Du musst klug und clever sein«, sagt er und steht auf. »Du willst schließlich Karriere machen. Ich kann von Herzen dumm sein, so lange ich poetisch und weise bleibe.« Ein schöner Satz, auch wenn man ihm anhört, dass er aus dem Fundus stammt; ein vollkommener Schlusssatz, mit dem sich etwas rundet, das er offen nicht länger ertragen will, und er legt einen Geldschein auf den Tisch und geht aus dem Lokal.
Das Empfinden, sie hinter sich gebracht zu haben, ein für alle Mal, will sich allerdings nicht einstellen. Nach dem Verblassen seines Ärgers über die entnervende, weil allzu durchsichtige Kampfbereitschaft, die Charlotte an den Tag legt, bleibt eine Unruhe, die nicht mit Verliebtheit zu verwechseln ihm schwerfällt, wenn er an den Morgen denkt, an dem sie in derselben Stellung, in der sie eingeschlafen waren, erwachten: seine Knie in ihren Kniekehlen, sein Bauch an ihrem Rücken, die Hand auf der weichen Brust. Und die Beiläufigkeit, mit der sie sich die Finger befeuchtete und zwischen ihre Schenkel griff, um sein Glied einzuführen, die langsamen, fast noch schläfrigen Bewegungenund sein stiller Orgasmus, bei dem sie die Scheidenmuskeln wiederholt zusammenzog, gaben ihm das Gefühl von etwas Heimlichem, als schliefe er mit einer Schwester.
Auch sie resigniert noch nicht an diesem Nachmittag. Auf dem Sofa liegend in seiner Wohnung, hört er sie die Treppe heraufkommen. Sie muss es sein, er kennt die Schrittarten der anderen Hinterhausbewohner, von denen niemand Pfennigabsätze trägt. Unwillkürlich hält er den Atem an, als er sie hinter der Tür weiß; er hört ihr Räuspern, riecht ihr Parfüm, und obwohl er darauf gewartet hat, erschreckt ihn das Schrillen der Klingel. Es hallt in den kahlen Räumen.
Die dünne Tür, kaum mehr als ein lackiertes Brett voller Risse und Dellen von Einbrüchen vor seiner Zeit, hat eine Briefschlitzklappe, durch die man in die Wohnung spähen könnte, doch darauf kommt Charlotte nicht. Sie kramt in ihrer Handtasche, Schlüssel und Sticks klicken gegeneinander, und schließlich knarrt die hinaufführende Treppe, eine Stufe nur; im guten Glauben, er sei nicht zu Hause, hat sie sich wohl hingesetzt, um zu warten. Das überrascht ihn, es passt nicht zu ihrem Stolz; doch er zwingt sich, liegen zu bleiben. Zigarettenrauch dringt durch die Ritzen, hin und wieder raschelt Papier; offenbar liest sie, und er findet sich stark in seiner Reglosigkeit, dem entschiedenen Verzicht; so muss er sich nicht feige fühlen. Nach jedem Umblättern draußen wird die Stille in seinen Räumen tiefer, und schließlich schläft er ein und wacht erst wieder auf, als es fast dunkel ist über dem Hof.
Witternd hebt er den Kopf; aus dem Treppenhauskommt nichts als der brackige Kellergeruch, wie immer; der Efeu an der Außenmauer rauscht im Wind. Vorsichtig zieht er die Kette weg, und öffnet die Tür einen Spalt. Die Stufen sind leer. Drei Zigarettenkippen liegen vor seiner Schwelle; an einer ist noch Lippenstift.
Seither, seit über fünfzehn Jahren, haben sie einander nicht mehr getroffen. Manchmal, wenn ein neues Buch von ihm in einer überregionalen Zeitung besprochen wurde, rief sie ihn an, meistens aus Hamburg, wo sie seit langem lebt. Ihre Gespräche kriegten nach den anfänglichen Floskeln rasch das leicht Herausfordernde im Ton, mit dem sie sich schützten, um sich einander nicht ausliefern zu müssen. Sie wies ihn auf Druckfehler oder stilistische Patzer hin, und er vermied es, ihr zu sagen, dass er sie immer mal wieder im Fernsehen sah; als Spezialistin für die psychologischen Aspekte der neuen Medien wurde sie gelegentlich interviewt. Einmal, er lebte für ein paar Wochen als »Writer in Residence« in Kyoto, unterbrach er sein einsames Onanieren
Weitere Kostenlose Bücher