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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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auf dem Sofa und rief sie an. Sie saß allein in ihrem Büro, musste den Sonntag durcharbeiten wegen irgendeines Termins und sagte ihm, was er hören wollte – Wörter, die schon längst nicht mehr obszön waren, aber immer noch so wirkten. Und es erregte sie offenbar überhaupt nicht, dass sie ihn, der ein Weltmeer entfernt hinter der Erdkrümmung lag und auf den abendroten Glockenturm des Konservatoriums blickte, nur mit dem Klang ihrer Stimme zum Spritzen brachte. »Putz dich ab«, sagte sie streng und legte auf.
    Sie ist inzwischen Professorin geworden, arbeitet nicht nur in der Universität, sondern auch als Beraterin für Sender und diverse Konzerne und hat vor einem Monat den lang ersehnten Ruf nach Berlin erhalten. Seine Gratulation ignoriert sie, und er hörte das Klappern ihrer Tastatur, während sie spricht. Viel zu tun, sehr viel zu tun, auch noch in Hamburg, sie pendle wie verrückt, aber demnächst kriege sie ein Appartement in Mitte, ein kleines Versteck, und fände es schön, wenn sie sich sähen – vielleicht an einem Wochenende?

    Wind, Sommerwind, in dem die Wiesen glänzen, und die Schatten der Bäume scheinen zu fließen. Scherben funkeln auf dem Weg, und Webster bricht aus dem Gestrüpp und verschwindet im nächsten. Zerwühlt die von Schweinen zerwühlte Erde noch einmal. Steckt lange den Kopf in einen hohlen Baum und zuckt zusammen, als auf dem See ein Segel knallt. Er bellt Schwäne an, bis sie fauchen, und wird still in der hallenden Unterführung, wo das Tapsen seiner Tatzen auf dem Estrich geisterhaft klingt, wie der Pulsschlag im leeren Herzen der Spree.
    Wolf liebt die Spaziergänge mit ihm, das Streunen durch die Wälder, die Sumpfwiesen ringsum, und empfindet gleichzeitig eine fast andächtige Scheu vor dem Tier, nicht nur wegen seiner Kraft. Webster kommt ihm überlegen vor allein dadurch, dass er völlig zufrieden ist mit dem, was ihm die Schöpfung zugedacht hat, dass er nichts anderes sein will als Hund – und das nährt in ihm den Verdacht, er sei vielleicht etwas ganzanderes, eine urzeitliche Hieroglyphe, nicht zu entziffern. Aus irgendeinem dunklen Grund schreibt er ihm mehr Anrecht auf Gegenwart zu als sich selbst, und die Unsicherheiten, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle, in die er sich oft eingewickelt fühlt wie in klamme Decken, werden erbärmlich vor diesem Blick, der edlen Silhouette. Den Kopf leicht erhoben, die schlanke Brust vorgewölbt, sitzt er stundenlang vor der Balkontür und beobachtet die Vögel in der Linde, wobei die Ohren und die Nasenlöcher zucken, und wenn er ihn ruft oder in die Hände klatscht, reagiert er stets mit einer leichten Verzögerung, als müsste er sich erst noch etwas einprägen. Sein leises Schnaufen klingt dann wie ein Seufzen. Zwar wärmt er ihm die Füße, wenn er am Schreibtisch sitzt, oder legt den Kopf auf seine Knie, wenn er fernsieht; doch gehen sie aus dem Haus, ist es immer der Hund, der die Richtung vorgibt, und er spürt deutlich, falls Wolf die entgegengesetzte nur aus Eigensinn befiehlt, zur Sicherung der Autorität. Dann blickt er kurz zu ihm auf, trottet an ihm vorbei, und das Herrchen muss sich wehren gegen den Eindruck, dass er andeutungsweise den Kopf schüttelt. Dass Webster ihn bedauert.
    Doch die meiste Zeit ist es Alina, die sich um ihn kümmert, ihr folgt er ganz selbstverständlich, als gehörten sie seit jeher zusammen. Leise spricht sie mit ihm, zärtlich fast, und oftmals schnippt sie nur mit den Fingern, um ihn zu rufen. Auch zur Schule, einem privaten Sprachinstitut am Hermannplatz, nimmt sie ihn mit; er schläft dann neben der Heizung im Klassenzimmer oder, falls sie muslimische Schüler hat, unter demSchreibtisch im Büro. Manchmal trägt er ihre Tasche oder eine Zeitschrift im Maul, und wenn Wolf auf dem Balkon steht und sie durch die Allee kommen sieht, glaubt er trotz des oft großen Abstands zwischen ihnen etwas Verbindendes zu erkennen, einen heimlichen Einklang, von dem er sich ausgeschlossen fühlt.
    Neidisch zu sein auf einen Hund – nur weil es eine gewisse Poesie hat, ignoriert er die Schnittkante dieses Gefühls. Dass Alina, ein ursprünglich ruhiges und träumerisches Naturell, sich mit den Jahren nicht nur seiner Charaktergeschwindigkeit, seiner schwächlichen Ungeduld, dem dauernden »Jetzt gleich!« bis in das Sprechtempo hinein angepasst hat und seine Bedenken oder Wünsche oft schon hört, bevor er sie äußert, bereitet ihm oft genug ein übles Gewissen. Aber nun zu sehen, wie

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