Feuer brennt nicht
sie langsam wieder zu sich kommt und neu geerdet erscheint, wie sie in ihre Umrisse zurückfindet an der Seite dieses Tiers und edler und auch kraftvoller wirkt in ihrer Sorge, die schon deswegen etwas Schmückendes hat, weil sie mehr meint als nur ihre Zweisamkeit, ist ihm auch suspekt. Ihr gelassener, fast schlendernder Gang, wenn Webster zurückbleibt, der ruhige, vorausschauende Ernst, mit dem sie ihm folgt, wenn er in den Park prescht, die stille und entspannte Konzentration, in der sie auf der Bank sitzt und liest, während er in den Büschen stöbert – deutlicher als je an seiner Seite macht Alina in Gegenwart des Hundes den Eindruck, aufgehoben und beschützt zu sein.
Zwar hält er sich zugute, dass er kaum je eifersüchtig war, nicht einmal auf die gutaussehenden männlichenSprachschüler, denen sie Nachhilfestunden gibt, doch genau betrachtet wurde er auch noch nie wirklich auf die Probe gestellt. Andeutungsweise scheint es jetzt soweit zu sein; er erkennt es daran, dass er das innige Schweigen zwischen ihr und dem Tier eines Tages nicht mehr aushält und für einen Augenblick gemein wird. Als er Alina in einem bemüht saloppen Ton fragt, wie es denn mit ihrem Kinderwunsch sei, jetzt, da die Wohnung eingerichtet ist, lächelt sie verlegen und schüttelt den Kopf. Vielleicht wird sie auch rot, es ist in dem Abendlicht nicht zu sehen. Sie öffnet eine Dose. Damals, sagt sie, vor Jahren, als sie sich deswegen fast getrennt hätten, da wäre es vermutlich noch gegangen. Jetzt nicht mehr. Und als er erstaunt fragt, was sie damit meine, schließlich sei sie noch keine vierzig, scheint sie gar nicht zuzuhören. Sie kratzt dem Hund das Fressen in den Napf und sagt: »Außerdem fühlt man doch, zu wie vielen man sein muss, oder? Das fühlt man. Und wir müssen zu zweit sein.«
Und kurz darauf liegt ein Brief von einer renommierten Stiftung im Kasten: Das Stipendium, das sie vor knapp einem Jahr beantragt hat, wird bewilligt, und sie kann endlich ihre Dissertation schreiben: Die Spuren Meister Eckharts in der Literatur der deutschen Romantik.
Stahlkrawatte. Häuser am Waldrand in kreischenden Farben. Weißblonde Grillschnecken. Je länger sie in dem Bezirk leben, desto mehr verfestigt sich seine heimliche Reserve gegen die stets missgelauntaussehenden Menschen, die er nur scheinbar ironisch Ureinwohner nennt. Etwas Dumpfes, latent Bedrohliches geht von ihnen aus, jedenfalls auf den ersten Blick, und Wolf mag schon lange nicht mehr an das Klischee glauben, das sei auf ein Gefühl der Benachteiligung oder Unsicherheit gegenüber Westlern oder auf eine trotzige Resignation vor dem Siebenmeilentempo der Geschichte zurückzuführen. Der Lebensstil mancher Wendegewinner jedenfalls macht den Eindruck, als wolle man sich erst gar nicht mit dem Kapitalismus westdeutscher Prägung abgeben. Man erhöht die Gartenzäune, dreht die chromstrotzende Harley so laut auf, dass die Fensterscheiben zittern, und donnert gleich durch bis nach L.A., mit geölten Muskeln. Man schenkt den Frauen und Töchtern Schönheits-OP’s zu Weihnachten, verstopft die Gassen mit rundum schwarz verglasten Geländewagen, montiert unzählige Überwachungskameras an das grellgelbe Haus und deckt das Dach mit violetten Ziegeln.
Der innere Osten bleibt grau. So manches Brachland riecht nach Säure. Die Wartezimmer der Ärzte, besonders der Fachärzte, sind überfüllt; man steht in den Fluren. Und auch wenn Wolf und Alina zunächst kaum Kontakt haben zu den Menschen: Ihre Erfahrungen mit den ersten Vermietern, die ihnen Rechtsanwälte auf den Hals hetzen und denen sie noch eine unverschämte Summe zahlen müssen, um aus dem Vertrag herauszukommen, die Pöbeleien lungernder Jugendlicher, als er durch den Park joggt, und zwar nur, weil er joggt, der Pfusch des Uhrmachers, der mit seinem Automatiklaufwerk überfordert ist, es aber nichtzugeben will, die bösen Blicke, die Alina oft treffen, wenn sie sich in der S-Bahn auf ihren Unterricht vorbereitet – »Deutsch als Fremdsprache« oder »Deutsch für Ausländer« steht auf den Büchern –, das alles führt dazu, dass Wolf immer wieder achtgeben muss, sich nicht in einen herben, fast genüsslichen Ostler-Hass hineinzusteigern; schon weil es so leicht wäre, ist ihm klar, dass er damit unrecht hätte. Andererseits sind vierzig Jahre Diktatur des Proletariats keine Entschuldigung dafür, dass man nicht grüßt.
Krawatte aus Stahl. Der Kellner im »Weberschiffchen« trägt sie, mit kleinem Knoten. Auf
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