Feuer brennt nicht
dafür, dass er den inneren Wert dieser Kenntnisse beschädigt, indem er mit ihnen prunkt, und glaubt ignorieren zu können, dass die Poesie den flieht, der sie als Bildungsgut missbraucht und ihren Eros unter Bücherstapeln begräbt. Dass sie ihn erkalten lässt.
Eines Tages im frühen Sommer sitzen sie auf einem Hochplateau über dem Dorf. Das lange Gras neigt sich im Wind und glänzt dabei wie helles Gold, in den Kronen der Kirschbäume zanken sich Vögel, und die warmen, in der Sonne flirrenden Felsen sind gesprenkeltvon dem Saft herabgefallener Früchte. Sie schmecken unglaublich süß, sie essen ganze Hände voll und spucken die Kerne ins Tal. Schweigsam sind sie, groggy von dem Wein der Nacht; als der weiße ausgetrunken war, hatte Richard einen über sechzig Jahre alten Bordeaux aus dem Keller geholt, das Geschenk einer Mäzenin. Er war fast schwarz und so voller obskurer Partikel, dass sie ihn vorsichtshalber durch einen Kaffeefilter gossen; nur langsam tröpfelte er ins Glas. Doch weil es ihnen zu dem Zeitpunkt einzig um den Alkohol ging, ignorierten sie den leisen Modergeschmack, tranken die Flasche leer und fielen anschließend in einen fast komatösen Schlaf.
Richard hatte an dem Morgen neben anderer Post einen Brief irgendeiner Akademie bekommen, eine Umfrage nach dem Selbstverständnis des Schriftstellers, die er zwar mit einem spöttischen Grunzen in die Tasche steckte, aber unter den Kirschbäumen wieder hervorzieht. Wind lässt es knattern, das Blatt, und als er den Jüngeren mit einem deutlichen Mutwillen in der Stimme fragt, was er seiner Meinung nach schreiben solle, hört dieser dem pädagogischen Unterton an, dass er es längst weiß und dieselbe Antwort auch bei ihm voraussetzt. Oder doch bereit ist, sie ihn zu lehren. Vielleicht zuckt Wolf deswegen mit den Schultern. Unter einer Akademie kann er sich ohnehin nur etwas Steifes und Verstaubtes vorstellen, die Bügelfalte einer Kultur, mit der er nichts am Hut hat, schon gar nicht hier, im Wind unter den Wolken. Doch Richard ist offenbar entschlossen, dem Tag das Verträumte zu nehmen und aus dem Restalkohol Gedanken zu machen.»Na, das ist doch klar«, sagt er. »Ich bitte dich. Was kann es Vornehmeres für einen Schriftsteller geben als die Aufklärung. Sie ist die Essenz aller Literatur. Ich jedenfalls will aufklären, verstehst du!«
Das ist, bei allem Pathos, sicher verständlich für einen, der in der Nazizeit und im Krieg zur Schule ging, sein Vaterhaus in Flammen aufgehen sah, zwischen Trümmern nach Essbarem scharrte und Leichen fand und dessen Pubertät und erste Denkversuche in die Adenauerzeit fielen. Aber es klingt auch verdächtig nach Zeitungspapier, nach Leitartikeln im Feuilleton, besonders bei jemandem, der sonst nur geringschätzig davon spricht, und Wolf schreibt es ihrem hangover zu, dass Richard kein Auge hat für die Anmaßung, die darin liegt, kein Ohr für den hohlen Ton. – Und er, wen oder was sollte er aufklären? Dazu gehört seiner Meinung nach ein Überblick, den er nicht besitzt; dazu ist ihm selbst zu wenig klar. Von sich, von seinen Erfahrungen zu schreiben, findet er mühsam genug; Aufklärung ist ihm einfach ein zu großes Wort. »Ich weiß nicht«, sagt er und legt sich in das warme Gras, verschränkt die Finger im Genick. »Jeder Dorfdepp könnte mich aufklären – aber ich? Wahrscheinlich möchte ich eher verzaubern.«
Der Ältere blickt in den Himmel und lacht – ein freudloses Lachen, das nur deswegen nicht kalt aussieht, weil er so schlechte Zähne hat, gelb verfärbt. Er faltet den Brief wieder zusammen. »Na toll, Mensch! Man hört dir den Autodidakten an. Wirst du mir am Ende noch ein Romantiker?«
»Ein was?«, fragt Wolf und schüttelt den Kopf, derschmerzt. Er schließt kurz die Augen. »Damit kann ich nichts anfangen. Romantik ist doch Mystik für Steuerzahler.«
Richard spuckt aus. »Oho! Und aus dir spricht der Heilige Geist, oder was?«
Nun ist Wolf natürlich verärgert. Schon länger hat er das Gefühl, dass der andere etwas in ihm sieht, das er nur teilweise war und immer weniger ist. Solange er seiner Herkunft entsprechend holzschnittartig bleibt und mit substantivischer Geste von Baustellen, Großküchen, Krebsstationen oder Sektionssälen schreibt, muss er sich um Richards Zustimmung nicht sorgen; manchmal schwingt sogar leiser Neid auf seine Erlebnisse mit. Versucht er aber zu artikulieren, was sich jenseits der expressiven Bilder und vordergründigen Ansichten bewegt, die am
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