Feuer brennt nicht
Bauern und scheint beliebt zu sein. Den Nachbarn, die sich winters um das Haus kümmern, hat er seine Nussbäumeund den Ackergrund zur Verfügung gestellt und biedert sich im Übrigen nicht an. Man winkt ihm schon von weitem zu, und wenn er etwas sagt, öffnet sich so mancher Mund zu einem zahnlosen Lachen.
Wolf kann nicht anders, er muss ihn bewundern. In seinen Augen ist er ein glücklicher, vollkommen freier Mann, dem nichts Materielles fehlt und alles Geistige offensteht, in mehreren Sprachen. Die Pulloverärmel hochgeschoben, einen Zahnstocher zwischen den Lippen, scheint er wie aus der Hüfte zu leben, und selbst wenn er breitbeinig in die Dahlien pisst oder Milch für die Katze in seinen Aschenbecher gießt, hat das irgendwie Stil. Er schreibt und zeichnet fast ununterbrochen, vom Morgengrauen bis zum Abend, und kocht nebenher opulente Essen. Kein Jahr, in dem er nicht mindestens ein oder zwei Bücher, Bildbände oder graphische Zyklen publiziert, täglich kommt Post von Galerien, Zeitungen und Verlagen, die ihn um Arbeiten bitten, um Interviews, vorbeireisende Bewunderer stellen ihm Geschenke auf die Schwelle, kistenweise Wein und selbstgekochte Konfitüren, und er kriegt Preise im In- und Ausland und hat Geliebte in mehreren Städten. Er führt ein glanzvolles, in seiner Konsequenz nahezu heroisches Leben, ohne je die farbfleckigen Kleider zu wechseln, und dass ihm weder an seinen Erfolgen noch an nörgelnden Kritiken das Geringste zu liegen scheint, verdoppelt diesen Glanz für Wolf.
Eine Lichtgestalt, das ist er für ihn, und trotzdem gibt es etwas Schattiges oder Freudloses in seinem Wesen, etwas nach wie vor Kaltes, das er sich nicht erklären kann und das einer wirklich herzlichen Nähe zwischenihnen im Weg steht. Zwar nennt Richard jeden Freund, der nur ausreichend Wein mit ihm trinkt, doch wenn der Jüngere, der sich ihm rückhaltlos und dankbar offenbart, in fast kindlicher Sehnsucht nach Innigkeit etwas über ihn und seine Empfindungen jenseits der Kunst erfahren will, lächelt er nur müde und ein wenig abwesend, kehrt eine Handfläche vor und sagt: »Das, mein Lieber, steht alles in meinen Büchern.«
Offenbar ist ihm das Kränkende und Hochmütige dieser Antwort nicht klar, und vielleicht fürchtet er ja, Bewunderung einzubüßen, wenn er sich zu intim gibt; jedenfalls scheint ihm an einer Bekanntschaft auf Augenhöhe nichts gelegen zu sein, auch nach Jahren nicht. Immer noch will er lesen und korrigieren, was Wolf geschrieben hat, lässt ihn aber kaum je in seine Manuskripte blicken, oder doch nur, wenn er von ihrer Vollkommenheit überzeugt ist. Findet der Jüngere, der inzwischen sicherer geworden ist in seinem Urteil und auch schon mit einem kleinen Gedichtband debütiert hat, dennoch etwas Verbesserungswürdiges, ein verborgenes Klischee etwa oder einen falschen Ton, reagiert der andere seltsam betroffen, fast schockiert, und verfällt in eine Art Sekundenstarre, in der sich nichts bewegt als seine Augen – wie bei einem, der mit dem Rücken zur Wand steht und hinter seinen Bedrängern nach Fluchttüren sucht. Manchmal wird er sogar rot, und fast immer nimmt er ihm das Blatt weg und sagt: »Nein, nein, das ist falsch. Das hast du nicht richtig gelesen, mein Lieber. Wenn man die Weltliteratur kennt – und ich kenne sie –, muss man doch sehen, was diesen Text ausmacht! Ich gebe ihn dir später noch mal.«
Nur Wolfs immer noch respektvolle Scheu verhindert, dass ihm solche Formulierungen den Atem nehmen. Ihre Großspurigkeit ist auf den ersten Blick auch deswegen nicht so arg, weil Richard tatsächlich über enorme Kenntnisse verfügt. Schon ein Onkel war Schriftsteller, mit riesiger Bibliothek, und so gibt es kaum einen Klassiker, den er nicht gelesen hätte – von Rilke einmal abgesehen; doch das ist Konzept, das sagt er eher stolz, Zigarillo im Mund. »Ick bin ja eher aus der Brecht-Ecke!« Und auch das Entlegene ist ihm vertraut. Zeigt Wolf sich zum Beispiel begeistert von einem flandrischen Lyriker, dessen übersetzte Verse er zufällig in einem Antiquariat entdeckt hat, kann er sicher sein, dass Richard ihn längst kennt, und mehr: Er weiß alles über die Schule dieses Autors und hat die Quellen seiner Inspiration im Original studiert. Er kennt sie wirklich und lässt sich gern und lang und breit darüber aus. Sie verschafft ihm sichtlich Genugtuung und scheint ihn sogar zu beruhigen, die Gewissheit, immer noch mehr gelesen zu haben als jeder andere. Aber er hat kein Gefühl
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