Feuer brennt nicht
kriegen, der Marsch wird uns schon geblasen werden. Bitte, meine Gnädigste …«
Und wieder die Diva, die hinter dem mannshohen Foto des Gefeierten hervortritt und sich inzwischen umgezogen hat. Alles an ihr ist jetzt violett, auch das breite Samtband am Hals, und sie schwingt ihre Haarfackel, schlägt die Krallen in den Rauch, droht mit den Fäusten und rollt ihre R’s wie der Böttcher von Augsburg seine Fässer zum Lech. Denn dass der Haifisch Zähne hat und der Mecki ein ganz gefährliches Messer, muss einem mit steil gezackter Stimme ins Bewusstsein geraspelt werden, damit man nicht etwa zu schunkeln beginnt oder gar auf den Gedanken kommt, dass der Umgang mit Brecht und seinen Liedern von der Armut in der kalten Welt längst zynisch geworden ist. – Aber vielleicht kann man es deswegen mit ihnen machen, denkt Wolf, als er schon wieder in der Metro sitzt und vergeblich Alinas Nummer wählt, weil es ihm selbst nicht wirklich ernst war mit seiner Anteilnahme, weil er sich in seinem wohlgemuten Klugsein und dem Techtelmechtel mit der Macht vor dem Absoluten drückte und gerissen den politischen Zeitgeist bediente, der Entertainer im Drillich. Den nun der Zeitgeist zwischen Kaviarschnittchen abserviert.
Am nächsten Abend ist der Rückflug vorgesehen, und da er sie den ganzen Tag nicht erreichen kann, fährtWolf schließlich nach Orly. Dort wartet er, bis alle Passagiere eingecheckt haben, doch Alina erscheint nicht. Nur eine atemlos herbeihastende Nachzüglerin mit einem Cellokoffer wird noch abgefertigt, und er trinkt gerade einen Kaffee an einem Tresen in der Nähe des Schalters, als sie ausgerufen werden. Der Lautsprecher befindet sich direkt über ihm, und sein Name, von einer deutschen Stimme gesprochen, erschreckt ihn wie ein Donnerwort aus höchster Ebene; fast duckt er sich unter dem Klang, in dem schon allein wegen der Lautstärke etwas Zurechtweisendes liegt. Die Sprecherin selbst scheint überrascht zu sein von der Empfindlichkeit des Mikrophons und etwas Abstand zu nehmen, denn Alinas Namen klingt dann leiser und wird beim zweiten Aufruf, dem letzten, fast schon beiseite gesprochen, als rechne auch das Flugpersonal nicht mehr mit ihrem Erscheinen. Wolf geht hinaus und winkt einem Taxi.
Unterwegs in die Innenstadt versucht er erneut, sie zu erreichen, und auch wenn sie nicht reagiert, erkennt er an dem längeren Klingeln bis zum Einschalten der Mailbox, dass sie ihr Telefon angestellt hat. Der Verkehr ist zähflüssig, die sinkende Sonne spiegelt sich in den Scheiben der Hochhäuser und lässt die Antennen blitzen, und der gutgelaunte Fahrer, ein Algerier, dreht die Musik laut auf und bremst manchmal so abrupt, dass Wolf sich vertippt. »Schon wieder so ein Abend«, schreibt er, »an dem der bloße Gedanke an Dich mir die Geweihspitzen vergoldet …«
Weil er weiß, dass sie solche Sätze liebt, schickt er ihn ab, und während der Chauffeur versucht, die Staus zuumfahren, und in immer engere Seitenstraßen gerät, muss Wolf an die Diplomatenfrauen in der Botschaft denken, an ihre langen Hälse und scharf umrissenen Profile, an die Konversation voller Zwischentöne, und wie offensiv sie stolz sein wollten auf ihre Männer. Imponierend sahen sie aus und doch so traurig in dem Bemühen, einer Vorstellung von Größe nachzueifern, mit der sie nie wirklich zu ihrer eigenen finden würden, weil sie eine dumme und kaltherzige Ignoranz der Wahrheit ist, dass auf jeden Menschen eine ihm gemäße Form von Vollkommenheit wartet. Das zu erkennen, einzusehen, was das Leben von einem fordert, und sich entsprechend zu entwickeln ist eine Voraussetzung für Größe, und nie hat er sich gefragt, ob Alina dieses Bedürfnis hat: stolz zu sein auf ihn. Viel mehr bekümmert sie vermutlich, dass er sich selbst nicht etwas mehr mag und ein bisschen zufriedener ist mit seinem Tun. Und darum ist sie groß für ihn und wird es immer sein, und ihm stockt der Atem, als er die leise Vibration in der Herzgegend fühlt und sie ihm antwortet, obschon nur mit einem Wort, das auch nicht besonders freundlich ist. Und doch kommt es ihm wie ein Anflug von Versöhnung vor, ein Lächeln unter Tränen. »Arschloch«, steht da, mehr nicht.
Wenig später geht es nicht weiter, in keine Richtung, und nach einer Viertelstunde bezahlt er den Fahrer, schultert die Tasche und spaziert an der Seine entlang, Richtung Notre-Dame, um deren Türme Taubenschwärme kreisen. Da keiner der im Stau stehenden Fahrer den Motor abschaltet, ist die Luft
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