Feuer brennt nicht
Zimmer, und in der Stille fällt ihm auf, dass der Brunnen nicht mehr rauscht. Man hat das Wasser abgelassen, und ein paar Männer in grünen Overalls stehen in den Marmorbecken und fegen Kippen, Münzen und Papier zusammen.
Ein Brecht-Abend in der deutschen Botschaft, für geladene Gäste. Mondlicht auf den Limousinen, die langsam über den Kies der Auffahrt rollen. Der Kulturattaché trägt einen Smoking und meint es offenbar ernst, und abgesehen von einer Delegation ostdeutscher, leicht zerknittert in ihrem Abseits stehender Theaterleute, von denen zwei sogar kesse Schirmmützen tragen und Zigarren rauchen, sind auch die anderen Gäste, die smarten Männer mit dem einwandfreien Satzbau und ihre blonden Frauen, die selbstverständlich keine Blondinen sind, sehr erlesen gekleidet. Brecht goes Armani.
Echtes Kerzenlicht funkelt in den Kristalltränen der Lüster. Vertreter aus Wirtschaft und Kultur nippen zusammen mit Austauschstudenten und Mitarbeitern des Goethe-Instituts an ihrem Champagner, dieweil die bewährte, ganz dem Ernst des Ausdrucks verpflichtete, in wallende Seide gekleidete Interpretin ihr feuerfarbenes Haar herumschleudert, diedramatisch umtuschten Augen rollt und die Hände mit den blutroten Nägeln wie Krallen erhebt. Das war schon ein Böser, dieser Baal. Später gibt es ihn noch mal auf Französisch.
Auch der Pianist trägt einen Smoking, und während man herumgeht und Häppchen isst oder allen Ernstes Kaviar löffelt, spielt er ein paar unbekannte Stücke von Kurt Weill, was sonst. Die meist männlichen Botschaftsangestellten erkennt man an ihrem perfekten Haarschnitt und dem kultivierten Habitus, mit dem sie fast glaubhaft verschleiern, dass sie gern woanders wären, vor ihren Rechnern zum Beispiel. Aber ihr Chef hat sie nun mal zu diesem Klimbim verdonnert, sie und ihre besseren Hälften, und so pflegen sie denn Gespräche, wobei sie immer einen Fingerbreit über den Schopf ihres Gegenübers blicken, als wollten sie sich nicht aus der Konzentration bringen lassen, während sie die Hände sanft hin und her bewegen im Gelenk, ein manikürtes Wedeln. Ihre Frauen, in diesem Frühjahr vielfach rückenfrei und mit langen Perlenketten behängt, stehen in genau der richtigen Distanz dabei, nicken ab und zu oder werfen ein Wort ein, gegen das niemand etwas sagen kann und das dankbar zur Kenntnis genommen wird, fügt es dem oft bemühten und von leichtem Mundgeruch getrübten Klima doch etwas Frisches hinzu. Sie sind die Garnierung an diesem Abend, die Petersilie, was in Ordnung geht, denn sie wissen es und spielen mit. Brecht ist Männersache, nicht nur im Raucherzimmer voller Sessel aus genarbtem Leder, wo Wolf einen Whisky trinkt.
Dann kommt endlich der Botschafter, stellt sich nebenden Flügel, klopft mit dem Siegelring gegen sein Glas und bittet um Entschuldigung für die Verspätung; ein wichtiges Essen beim Präsidenten der Republik, bei dem es auch um Kultur gegangen sei, insbesondere um Musik. Er sei ein großer Kenner der deutschen Klassik, und schließlich stehe das Mozartjahr vor der Tür … Hier macht er eine deutliche Pause, in der aber niemand lacht oder auch nur tuschelt, und der silberhaarige Konsul genießt sie sichtlich, die Beklommenheit seiner Gäste und Untergebenen, und trinkt einen Schluck Mineralwasser. Ein Mann mit seiner Erfahrung lässt keinen Witz danebengehen, das dürfte klar sein, doch obschon dem Schweigen ein Abgrund anzuhören ist, kann einer der Berliner Theaterleute nicht umhin, den Geist der Revolte, den er mit seinem schwarzen Anzug, dem offenen weißen Hemd und der Kulturglatze samt Ohrring längst zum Design gemacht hat, wiederzubeleben. »War Mozart«, fragt er, »nicht Österreicher?«
Natürlich will er dafür geliebt werden, und dankbar nickt der Konsul ihm zu, wobei auch etwas Wehmut um sein Lächeln spielt, als dächte er: Auf euch Linke ist doch immer noch Verlass! Mit einem Zwinkern wendet er sich ans Publikum, und besonders seine Angestellten atmen deutlich auf, als er erwidert: »Das gab auch der Präsident zu bedenken, junger Mann. Und was konnte ich ihm sagen? Natürlich war Mozart Österreicher, und das Zeitalter der Annexionen ist ja nun vorbei. Aber sein Ursprung, die Quelle seines Könnens, der Vater, nicht wahr, Leopold Mozart kommt aus unserem schönen Augsburg – ausderselben Stadt übrigens wie der gute Brecht hier. Wobei wir beim Thema wären. Wir sind ein Land der Klassiker! Und auch wenn wir heute Abend keine Zauberflöte zu hören
Weitere Kostenlose Bücher