Feuer brennt nicht
Muttererde, und ein Kollege säubert sie mit einem Quast und verstaut sie in seinem Lieferwagen. Ofenbauer , auch so ein Wort – wie Lichtdrucker etwa oder Bleisatz –, das es bald nicht mehr geben wird.
Beschwingt arbeitet Wolf weiter, fühlt er doch angesichts der Handwerker genau die Freude, die nötig ist, damit ein Text sich für ihn rundet. Die Zweifel darüber, ob er etwas von Belang zustande gebracht hat, werden nämlich selten zerstreut von dem Zuspruch des Verlegers oder des Lektors, von wohlmeinenden Kritiken oder einem guten Verkauf seiner Bücher. Das alles ist immer viel zu leicht von Skepsis zu zersetzen – der Verleger will halt Geschäfte machen, Rezensenten können eh nicht lesen, was schon daran zu erkennen ist, wie falsch sie oft zitieren, und gute Verkaufszahlen könnten stets noch besser sein; würde er alldem Bedeutung beimessen, wäre ihm das ein sicheres Indiz dafür, dass er das Wesentliche aus den Augen verloren hat. Aber davor haben ihn immer noch die unmissverständlichen Zeichen geschützt.
Ein heikles Thema und eigentlich viel zu intim, um überhaupt davon zu sprechen. Einmal vor Jahren, als er nach einer Lesung in einer Buchhandlung einenVersuch machte, stieß er auf viel stirnrunzelndes Unverständnis und sogar auf den Vorwurf, sich und sein Schreiben interessanter darstellen zu wollen, des Umsatzes wegen. Mystisches Marketing. Seither schweigt er lieber von geträumten Gedichten und Geschichten, dem Eintreffen erdachter Begebenheiten oder dem plötzlichen Auftauchen von Romanfiguren oder vorher beschriebenen Tieren im Park – auch von dem plüschigen Spielzeug damals in der Fontane-Promenade, gefunden nach dem Abschicken seines ersten Romans, in dem hin und wieder ein weißer Hase durch die Zeilen hoppelt.
Immer noch werden glasierte Kacheln vom Balkon geworfen und einmal auch ein Aschefach, kunstvoll geschmiedet, und während Wolf die Arbeiter beobachtet, schickt er einen stummen Dank ins Irgendwo: In seinem soeben fertig gestellten Band mit Erzählungen gibt es eine, die letzte, in der sich ein junges Mädchen und ein älterer Mann die Langeweile während einer Zugfahrt mit Wortspielen vertreiben; beide haben sie die Neigung, nicht richtig hinzusehen oder zuzuhören, statt Tumor lesen sie Humor, statt Nadelstreifen Nudelstreifen, statt Zoologischer Garten verstehen sie Urologischer Garten, und so weiter. Bei aller anfänglichen Heiterkeit ist es aber auch eine Geschichte, in der die Grenzen zwischen Leben und Sterben langsam verwischen; so glaubt der Mann, den am Ostbahnhof fast ein Laster überfährt, einen Moment lang das Wort Offenbarung auf der Karosserie zu lesen. Es steht aber nur Ofenabriss darauf – und während der Handwerker gegenüber die goldverzierte Kronenkachel an einemSeil vom Balkon lässt und sein Kollege sie reinigt und im Laderaum verstaut, setzt Wolf sein Imprimatur unter den Text und bringt ihn dann zur Post.
Ist es bereits eine Ankündigung des Alters, wenn man bestimmte, bis dahin oft falsch geschriebene Wörter plötzlich richtig schreibt? Rheumatismus zum Beispiel, oder Hämorrhoiden? – Oh, Eros der Vorsorge: Das Röntgenbild des Orthopäden unterm Arm, den Gipsabdruck der Zähne in der Tasche, das vor Schrauben und Rädchen starrende Okular des Augenarztes auf der Nase und den Gummifinger des Urologen im Arsch – und draußen im Dunkeln lachen die Füchse.
Die Schmerzen sind oft kaum noch zu ertragen, Hausmittel, Diäten und homöopathische Medikamente haben versagt, und so rechnet Wolf mit dem Schlimmsten, Magengeschwüren etwa oder dem Morbus Crohn, als er sich endlich einen Termin bei einer Fachärztin geben lässt. Sie ist eine handwerklich solide, noch in der DDR ausgebildete Menschentechnikerin, die ihn offenbar für einen Ostler hält; jedenfalls unterbricht sie bei der Voruntersuchung in der überfüllten, vom Schrillen der Telefone, dem Klappern von Cloggs und dem Heulen irgendwelcher Zentrifugen durchtönten Praxis das Palpieren seines Bauches und sagt: »Sie glauben nicht, wie viele unseren alten Staat noch in sich tragen – in Form von Karzinomen …«
Überall auf den Schränken und Sideboards steht Nippes, eine vergoldete Gondel, ein silberner Eiffelturm, die Freiheitsstatue aus Kristall. Stofftiere sind derGröße nach auf ein Wandbrett gereiht. Sie spricht mit lauter Stimme, polternd fast, und als sie erfährt, dass er Schriftsteller ist, hebt sie eine Braue, blickt rasch auf seinen Kassensatz und lehnt sich noch einmal
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