Feuer brennt nicht
gemachter Mensch mit Kind und Kegel in behäbiger Enge einrichtet, seit ihrem Herzug unheimlich findet, bedrohlich gar, nicht zuletzt, weil damit Gesichtsausdrücke und Stimmlagen verbunden sind, in denen die Beschränktheit daherkommt, alswäre sie smart, so sträuben sich ihm jetzt die Haare auf den Armen bei dem Gedanken, dass da einer nicht etwa Beweise sammelt gegen die Betreiber eines vielleicht etwas lärmigen oder chaotischen Kindergartens, sondern selbst ein Beweis ist dafür, wie dünn die gepflegte, mit allen möglichen Siegeln und Versicherungsstempeln versehene Lasur dieser Lebensart ist, unter der die Essenz der Geschichte gärt: eine Hölle aus Bespitzelung, Verrat und Rechthaberei.
Dabei fühlt er sich etwas zu wohl in seiner Abschätzigkeit, um sie nicht anzuzweifeln; vermutlich hat der brave Mann dort drüben nur Angst vor einer Wertminderung seiner Immobilie oder will etwas für eventuelle Gerichtstermine dokumentieren; dennoch findet Wolf ihn derart deprimierend, dass er es nicht über sich bringt, seine neue Kamera hervorzuholen und ihn beim Observieren zu knipsen. Er schält einen Apfel, zerschneidet ihn in mundgerechte Stücke, streut Zimt darüber und süßt den Tee mit Honig, und um nicht mit allzu trüber Miene an Alinas Krankenbett zu treten, richtet er sich wieder auf an dem Hauch von Hoffnung, der darin liegt, wie wenig Herr Grauling zu bedenken scheint, dass man ihn durch seine Südfenster beim Spitzeln beobachten kann.
Wolf sagt ihr nichts davon; sie hat leichtes Fieber, Schnupfen und einen entzündeten Hals; der Atem klingt rasselnd, und er hilft ihr hoch, damit sie sich in den Sessel setzen kann, während er das Laken wechselt. Schon in Paris hatte sie plötzlich Herpesbläschen an der Oberlippe gehabt, und im Flugzeug begann sie zu schwitzen und zu zittern, zähneklappernd. Und alsWolf ihr die Hand auf die Stirn legte, schloss sie die Augen und sagte leise: »Tust du mir einen Gefallen?« Ihre Stimme war völlig verändert, aufgeraut und matt, und in dem Glauben, sie würde ihn um Wasser bitten oder ein Aspirin, nickte er stumm und neigte das Ohr vor ihren Mund. Sie schluckte mehrmals, räusperte sich und verhakte die Finger ineinander, löste sie wieder und drehte an dem Ring. »Versprichst du mir, mich nicht gleich zu küssen, nachdem du mit ihr geschlafen hast?«
In der ersten Woche nach der Reise übernachtet er in seinem Arbeitszimmer, und solange Alina krank ist, reden sie nicht mehr über Charlotte. Überhaupt schweigen sie viel; das Unausgesprochene ist eindringlich genug. Er holt Medikamente aus der Apotheke, macht ihr Wärmflaschen und Wadenwickel, zieht ihr das durchgeschwitzte T-Shirt über den Kopf und gibt ihr ein frisches von seinen, in denen sie am liebsten schläft. Er reibt ihr die Brust und den Rücken mit Kampfersalbe ein, kauft Zeitungen und Illustrierte, die sie aber kaum anrührt, und setzt sich auf den Matratzenrand, um ihr selbstgekochte Hühnerbrühe zu verabreichen, löffelweise. Bei jedem Schluck starrt sie immer knapp an ihm vorbei mit ihren rotgeweinten Augen, in die leere Zimmerecke, und dabei krault sie dem Hund, der nah am Bett hockt, ganz sanft den Nacken.
Selten steht sie auf, wenn Wolf sich im Mansardenteil der Wohnung befindet, geht höchstens einmal zur Toilette. Doch kaum hat er ihr eine gute Nacht gewünscht und sich auf die Schlafcouch neben seinem Schreibtisch gelegt, um zu lesen, hört er sie duschenoder gurgeln dort oben, Schubladen öffnen, im Kühlschrank kramen, das Radio anstellen oder mit Webster sprechen, zärtliche Laute, und wenn es dann wieder still ist und nur die Kastanien vor dem Haus in einer Brise rauschen, glaubt Wolf ihn deutlich zu spüren, ihren Schmerz, wie eine unsichtbare Kante in der Luft. Seine kalte Geometrie scheint die Räume größer, die Winkel spitzer und die Dunkelheit ernster zu machen und verleiht ihr eine Hoheit, vor der er sich immer zweifelhafter findet und sein Bedürfnis nach reinem Tisch verdächtig. – Ging es ihm denn wirklich um ihre Würde in Paris, oder wollte er es nur etwas bequemer haben, weil er zu träge oder zu schwach geworden ist für die Mühen der Verheimlichung? Muss sie sein Geständnis nicht sogar als eine Form von Geringschätzung empfinden?
Andererseits glaubt er zu wissen, dass eine fortdauernde Maskerade ihr Zusammensein ausgehöhlt und seine Achtung für Alina wie ein schleichendes Gift zersetzt hätte mit der Zeit. – Jetzt scheint sie zu schlafen, und auf nackten Sohlen
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