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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Ärztin mit ihm über Literatur und Fußballgesprochen hat, sind herabgelassen, und nur auf dem Schreibtisch brennt eine kleine Lampe, in deren Licht die Schneide eines Brieföffners glänzt. Während die Assistentin eine Hose aus Papier in die Umkleidekabine hängt und ihm sagt, wie sie zu tragen sei – Schlitz hinten –, blickt sie ihn so schonungsvoll freundlich an, dass er feuchte Hände kriegt. Gleichzeitig ist er dankbar für diese unerwartete Rücksichtnahme auf seine Scham, und auch wenn der hellblaue Zellstoff so dünn ist, dass er das Ziffernblatt seiner Uhr dadurch lesen kann, schlüpft er erleichtert in die hygienischen Shorts und breitet sein Frotteetuch über die Liege. An einem Stativ hängen schon die Schläuche, die man in seinen Körper schieben wird, ein kurzer dünner für den Magen, ein dickerer langer für den Darm, und als die Schwester die Lampen an den Enden prüft, den sehr grellen Schein, der die Schatten der Stofftiere an den Wänden emporwachsen lässt, betritt die Ärztin den Raum.
    Sie trägt einen Mundschutz, eine weiße Gummischürze und Handschuhe, die bis über die Ellbogen reichen und die sie noch zurechtzupft, während sie sich auf den Drehstuhl setzt. »Kaffeefilter sind alle«, murmelt sie und blättert in dem Krankenblatt. »Ist er sediert?« Ihre Assistentin schüttelt den Kopf; er wollte keine Narkose, und die Frau zwinkert ihm zu, sprayt ihm ein Gleitmittel in den Rachen, schiebt einen Beißring zwischen seine Zähne und schaltet den Monitor an. »Dann wollen wir mal tief in Ihr Innerstes schauen, Herr Schriftsteller … Vielleicht finden wir ein paar Sonette. Ganz ruhig weiteratmen.«
    Die Magenspiegelung ist nicht so unangenehm wie befürchtet; er muss kurz einmal würgen, als der Schlauch die Kehle passiert, und dann ist das Gefühl unter dem Brustbein jenem vergleichbar, das man nach dem Hinunterschlucken eines zu großen und auch zu harten, gar etwas kantigen Bissens hat; schon nach wenigen Sekunden achtet er kaum noch darauf. Die Nasengänge sind zusammengedrückt, und leicht keuchend atmet er an all dem Plastik in seinem Mund vorbei und ist fasziniert von dem Anblick seiner ausgeleuchteten Organe: den Längsfalten der Speiseröhre, der pulsierenden Cardia, dem grottenartigen Magen. Mit seinen unebenen Felderungen kommt er ihm wie das Reversbild eines fremden Planeten vor, und die glatte Schleimhaut, die er sich gelblich-grau gedacht hat, ähnlich dem zottigen Pansen für den Hund, und die von einem verblüffend zarten Rosa ist, sieht in jedem Sinn reiner aus, als er es je war. Er blickt in die Augen der Ärztin, um etwas darin zu lesen.
    »Alles paletti«, sagt sie hinter ihrem Mundschutz, dessen Zellstoff sich leicht bewegt. »Fast wie im Schulbuch. Kein Geschwür, keine Narbe, nichts. Vermutlich haben Sie nur einen Helicobacter pylori, ein Bakterium, das gerade sehr in Mode ist bei Menschen Ihres Alters. Jeder zweite hat es. Manche bemerken es gar nicht, andere drehen vor Qualen fast durch.« Als sie eine Gewebeprobe aufpickt mit einer spitzen, aus dem Endoskop hervorschnellenden Zange, winzig wie ein Meisenschnabel, gibt es noch einmal einen dumpfen Schmerz, und dann bringt die Assistentin den glänzenden Schlauch aus dem Raum. Und auch bei deranschließenden Darmspiegelung in leicht embryonale Haltung spürt er wenig und ist, eine Hand unter der Wange, ein Pfefferminzbonbon im Mund, gebannt von den Bildern auf dem Monitor. Von seiner Abwesenheit im eigenen Innern.
    Mit allem hatte er gerechnet, mit Blut und Schleim und Schlieren von Scheiße, mit eitrigen Geschwüren und Polypen, und dann das: Ähnlich stark wie das Entsetzen, das einen erbleichen lässt, wenn man zum ersten Mal im Leben seine Stimme vom Tonband hört, befällt ihn nun – nach kurzem Schreck über die Vergrößerung seines haarigen Schließmuskels auf dem Schirm – ein jähes Entzücken über die Poesie des Unsichtbaren, die Höhlungen ohne Ende und die ruhige Peristaltik seines Colons, dessen halbmondförmige Ringfalten von einer Symmetrie sind, die er kaum für möglich gehalten hat in sich. Die rosa Schleimhäute glänzen an den Kehlungen zartviolett, und mit den weise verzweigten, sich im Schatten verlierenden Adern und den hellgelben Schaumflocken hier und da, Resten jenes Drastikums, kommt ihm sein abgründiger Darm wie ein Tiefseegebilde vor, ein nie gesehenes Riff. Im gegenüberliegenden Spiegel kann er einen Lichtpunkt unter seiner Bauchdecke sehen, und die Ärztin scheint zu lächeln

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