Feuer brennt nicht
steigt er die Treppe hinauf, um sich ein Glas Wasser zu holen. Doch als er die Tür zum mondhellen Wohnzimmer öffnet, sitzt sie auf dem Sofa und löffelt Eis, wobei sie auf den Fernseher starrt. Er läuft ohne Ton, und nach ihrem Befinden gefragt, nickt sie kaum merklich. Auch der Hund liegt, was ihm sonst nicht gestattet wird, zwischen den Kissen, so dass kein Platz mehr ist für Wolf und er sich auf einen Sessel am anderen Ende des Raumes setzt. Im bläulichen Geflacker des Bildschirms glänzen Alinas farblos lackierte Nägel, der schmale Schatten einesPalmblatts zittert auf ihrer Schulter, und nachdem sie eine Weile ausgiebig in dem Pappbecher gekratzt hat, hält sie Webster den Löffel mit einem Rest Stracciatella hin und schaltet eine Stehlampe an.
Etwas magerer ist sie geworden in den letzten Tagen, die Wangen wirken eingefallen, die Nasenflügel sind noch gerötet; aber die Skleren sehen klar aus, und auch die Haare sind schon wieder gewaschen. Offenbar ist der grippale Infekt überstanden, und vielleicht noch mehr: In der schönen Gelassenheit, die ihre Konturen so warm ausformt, macht sie auf Wolf den Eindruck eines Menschen, dem zwar zugestoßen ist, was er nie erleben wollte, der dadurch aber auch eine versöhnlich stimmende Erneuerung seiner Kräfte erfahren hat. Jedenfalls gibt es nichts Bitteres mehr in ihrem Blick, nichts Vorwurfsvolles, und sie verschränkt die Arme vor der Brust, so dass der Ausschnitt des Sweatshirts sich verschiebt und einen Träger des BH’s sehen lässt. »Ich habs mir überlegt«, sagt sie, und ihr tiefes Atmen klingt noch etwas zittrig. »Wir sollten das nicht in kleinlichen Bahnen laufen lassen.«
Was immer sie damit meint, er fragt es nicht; abwartend lehnt er sich zurück und schlägt die Beine übereinander, leicht fröstelnd in seinen Shorts. Der Hund gähnt und dreht sich auf den Rücken, und sie streichelt ihm den Bauch und scheint nach den richtigen Worten zu suchen. Mehrmals setzt sie an, eine lautlose Lippenbewegung, und als sie schließlich schluckt und wissen will, ob es andere Frauen gegeben und er sie schon öfter hintergangen habe in all den Jahren, ist er insgeheim froh, dass der Lampenschein nur bis zu seinenZehen reicht. Er langt auf den Tisch, trinkt ein wenig von ihrem Bronchialtee, der bereits kalt ist, und starrt in das Becherrund, als ließe sich dort eine möglichst schonende Antwort finden. Woraufhin sie eine Pastille aus der Packung drückt und hinzufügt, dass sie jetzt nicht von seinen One-Night-Stands oder Besuchen in Bordellen spreche; das sei ihm geschenkt.
Mit keiner Miene reagiert sie auf sein erstauntes Aufsehen; das Halsmittel lutschend, schiebt sie die Füße in den weißen Wollsocken unter das Tier, das schon wieder eingeschlafen ist und behaglich knurrt. Ob es Geliebte gegeben habe, will sie wissen, Frauen, die seine Sehnsucht auf sich gezogen und ihm etwas geboten hätten, über das sie nicht verfüge, Traumfrauen eben, und als er das nach einem Durchatmen verneint, wobei ihn seine Heiserkeit ärgert, die brüchige Stimme, und ihr reinen Herzens sagt, er liebe seit gut zwanzig Jahren niemanden als sie und könne sich auch nicht vorstellen, dass es jemals anders wird, starrt sie mit kaum merklichem Kopfschütteln auf den Bildschirm und fährt sich langsam durch die Haare, und eine fast heitere Entgeisterung ist in ihrem Blick, als hätte sie damit nun wirklich nicht gerechnet.
Ihr langes Schweigen dehnt die Zeit, und er muss sich zusammennehmen, um jetzt nicht weiter zu reden, gar in unnötige Beteuerungen zu verfallen; seit jeher ist ihr vertrauensvoller Glauben ein Raum, in dem jeder falsche oder nur missglückte Ton nach einer tieferen Unwahrheit klingt. Doch die Stille zwischen ihnen ist manchmal genauer als jeder Dialog, klärender auch, als wäre ein Wandlungsmoment darin beschlossen,das nichts als Geduld braucht, um den Zauber wieder anzufachen und die Heilung zu vollenden. Webster jedenfalls hebt ruckartig den Kopf, blickt von ihr zu ihm, wobei er den Nacken verdrehen muss, und Alina kratzt sich eine Kruste von der Oberlippe und schließt einmal kurz die Lider.
Klar ist die Nacht hinter den raumhohen Scheiben, fast windstill, Sterne funkeln über dem Grün der gewaltigen Linde, die neuerdings ein »Naturdenkmal« ist, mit einem amtlichen Schild am Stamm, und Wolf kann ein Reh in den Gärten dahinter erkennen, seinen vorsichtigen, leicht stakenden Gang zwischen Sträuchern, den hellen Spiegel unterm Sterz. Auch um die
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