Feuer brennt nicht
oft bis in die Morgenstunden vor dem Apparat – ohne danach die Skrupel zu haben, die sich nach dem stundenlangen Glotzen auf die Serien und Talkshows der vorgeblich keuschen Kanäle einstellen. Denn indem diese dem natürlichen Voyeurismus gebügelte Grenzen setzen und der vitalen Neugier und der Freude an der Lust nichts als Ersatzstoffe voller falscher Farben und Geschmacksverstärker bieten, sind sie die wirklich obszönen; das Einzige, was sie einem geben, ist das beschämende Gefühl, wieder einmal zu schwach zum Ausschalten gewesen zu sein und kostbare Lebenszeitvergeudet zu haben; während sich beim Ansehen von Pornofilmen immer rasch eine neue Kraft und eine frische, über das Sexuelle hinausreichende Angriffslust einstellt und sich Depressionen verflüchtigen.
Gegen Ende seiner katholischen Kindheit, in der die Wörter keusch oder unkeusch immer öfter zu hören waren und mit jedem Monat, den er älter wurde, sich etwas Unausgesprochenes um ihn herum zu verdichten schien, als es plötzlich Schwebstoffe in der Luft gab, die er auf der Zunge schmecken konnte – etwas Bittersüßes, das ihn dauernd schlucken ließ und seinen kleinen Schwanz aufrichtete –, hatte es ihn wie eine Erleuchtung durchglüht, als er einmal einen Umschlag voller schwarz-weißer Pornofotos im Nachtschrank seines Vaters entdeckte. Private Aufnahmen, wie es schien; die Personen mit den Masken und Karnevalshütchen waren nicht mehr jung, den Männern sah man harte Arbeit und zuviel Alkohol, den Frauen Kaiserschnitte und lange Stillzeiten an, und doch fand er sie unsagbar schön allein durch das, was sie taten. Dass diese Möglichkeit überhaupt in der Welt war, kam ihm ähnlich erschütternd und wunderbar vor wie die Existenz der Bergpredigt oder die Musik der Beatles und öffnete ihm innere Himmel; die drei oder vier Paare auf dem Teppich schienen wie verklärt vom Glanz der Freizügigkeit, die das Erwachsensein jenseits von Sorgen und Unmut ausmacht, jedenfalls in seiner Vorstellung, und nach der er sich die ganze Zeit unbewusst gesehnt hatte. Es gab sie also, die allumfassende Liebe, das lächelnde Wohlwollen mit einem Schwanz in jeder Hand, und diese Verheißung war so beglückend, dasser sie kaum ertragen konnte und jedenfalls erst einmal von sich stieß mit einem empörten »Sie tun’s! Sie tun es wirklich! Diese unkeuschen Schweine …« Und selig weinend begann er zu wichsen, wobei er darauf achtete, die Bettwäsche nicht zu beschmutzen. Und ließ sich fortan nicht mehr in der Kirche sehen.
Nachtblauer Satin. Die Abspannmusik aus wilden Waldhörnern und dramatischen Violinen schwingt sich auf zu einem Höhepunkt, bei dem der Hauptdarsteller die Zähne fletscht, ehe das kleine Bisschen flüssiger Mann, wie Charlotte es nennt, sternschnuppengleich über das Laken schießt. Eine neue DVD gleitet in die Maschine. »Du hast haargenau das Profil, von dem die Industrie lebt«, sagt sie und krault Wolfs jüngst rasierte und schon wieder etwas stoppelige Eier. »Du glaubst zwar kaum noch an Tabus, willst aber nicht auf die Lust verzichten, welche zu brechen. Das ist der letzte Rest von Anarchie und lässt die Kassen klingeln. Ach schau, er wird ja wach …« Und während sich auf dem Bildschirm Limousinentüren öffnen, Champagner in einen Schuh gegossen wird und kostbare Dessous in Zeitlupe auf den Boden fallen, legt sie sich bäuchlings über die Sofalehne, damit er sie genau so pfählt, wie es der muskulöse Schwarze in »Triefende Tiere« mit der Blonden gemacht hat, heftiger sogar – was sie nicht daran hindert, später mit ihm über die Frauenfeindlichkeit solcher Produktionen diskutieren zu wollen. Die sei offenbar unausrottbar. Aber da blickt er schon wieder auf die Uhr und überlegt, ob er Alina anrufen soll, damit sie mit dem Essen auf ihn wartet.
Sie schont sich nicht. Sie möchte keine Putzhilfe in der kleinen Wohnung und verbietet ihm, dass er ihr außer dem Kochen irgendwelche Arbeiten abnimmt. Sie ist unermüdlich, und ihre Schwindelanfälle in letzter Zeit, die jähen Absencen, scheinen nur ihn zu beunruhigen. Alina erklärt das mit der Anspannung, die Dissertation betreffend, und dem seit früher Jugend niedrigen, an warmen Tagen noch sinkenden Blutdruck. »Ich komme halt in die Jahre«, sagt sie einmal und lacht. Demnächst vierzig zu werden erstaunt sie offenbar selbst. Aber dass es ein problematisches Alter wäre für eine Frau, besonders für eine kinderlose, ist ihr nicht anzusehen. Ihr Körper ist herrlich,
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