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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Zimmer zu, »Karma Police« von Radiohead. Den dennoch geäußerten Wunsch nach einem »Besuch« in Friedrichshagen wagte er indessen nicht mehr abzuschmettern; auch wenn ihm die Hartnäckigkeit der nun schon seit Monaten geäußerten Bitte immer verdächtiger vorkam, stimmte er dieser Nachmittagsstunde zu.
    Alinas Abwesenheit ist ihm dabei mehr als recht. Ihre freundliche Bejahung der Gäste hätte ihn wankend gemacht in seiner Reserve, angreifbarer. Er will aber auf der Hut sein vor einem, der ihn zu kennen glaubt, nur weil er ihn einmal kannte, und nun sitzen sie vor ihren Gläsern mit Eiswasser und reden über das Wetter, die ungewöhnliche Hitze, wobei Richard Sander, als wäre er derjenige, dessen Zeit okkupiert wird, der Belästigte gar, sich den Anschein einer gewissen Unduldsamkeit gibt. Allzu deutlich vermeidet er es, die Bücherregale zu beachten, und dass er alle Konventionen des Höflichen ignoriert und kein Wort verliert über den malerischen Bezirk, das Haus in der Allee, den aparten Schnitt der Wohnung und die frischen Blumen auf den hellen Möbeln, ist wohl Konzept und gleichzeitig Ausdruck einer Knurrigkeit, die noch zunimmt, je länger der Jüngere keine Frage an ihn stellt.
    Natürlich würde er kaum wahrheitsgemäß über sein Befinden Auskunft geben; aber das spielt keine Rolle; er will danach gefragt werden, und als Strafe dafür, dass er sich nicht zu jenen weit ausholenden, meistensmit »Hör zu, mein Lieber …« beginnenden Antworten auffächern kann, wippt er mit dem Fuß, starrt in den Himmel über der Linde oder fährt sich mit dem Daumennagel durch die Zwischenräume der grauen, sichtlich toten Zähne – während Wolf seiner Frau etwas Wasser nachschenkt und sich von ihr erzählen lässt, was genau eine Musiktherapeutin ist und wie sich vor allem durch das Harfenspiel, das sie unterrichtet, autistische Verkapselungen bei Kindern lösen. Zwischendurch blickt sie immer wieder zu ihrem Mann, wobei ihr Gesicht einen schmerzlich weichen Ausdruck annimmt, als bitte sie insgeheim um Verzeihung dafür, dass sich das Gespräch um sie und ihre banalen Angelegenheiten dreht. Und Richard wippt noch stärker mit dem Fuß.
    Nun wird Wolf klar, dass ihm etwas auffallen soll, was er natürlich längst bemerkt, aber eben nicht angesprochen hat. Im seitlichen Oberleder des rechten Wanderschuhs gibt es ein großes rundes, offenbar mit dem Messer oder der Schere hineingeschnittenes Loch, aus dem ein Stück Rist sich hervorwölbt, ein Überbein, bedeckt von einer blauen Socke. Das kommt vor, besonders bei älteren Menschen, und auch jetzt ignoriert er es und fragt stattdessen, ob nicht vielleicht doch etwas Wein gewünscht wird, eisgekühlt? Beide verneinen, und eine Weile scheinen alle dem Streit zweier Elstern zuzuhören, dem Geschäcker auf den Firsten. Hannelore prüft den Stoff eines Kissens zwischen den Fingern, Wolf dreht am Rädchen seiner Armbanduhr, als hätte sie einen Handaufzug, und schließlich hüstelt Richard, leckt sich etwas Schweiß von der Oberlippeund sagt: »Diese Dachwohnungen sind im Sommer wirklich eine Zumutung … Und du, mein Lieber? Wie geht es dir? Wie steht’s? Du arbeitest viel, oder?« Und als Wolf erstaunt die Brauen runzelt und nach einem kurzem Hineinhorchen in die eventuellen Schlaglöcher der Frage den Kopf schüttelt, sagte der andere: »Aber komm, natürlich tust du das! Seit über zwanzig Jahren jedes zweite Jahr ein Buch … Du bist richtig ehrgeizig, was?«
    Da ist er also, der erste Tritt in die Eier, mit Überbein. Wolf stößt etwas Luft durch die Nase, trinkt einen Schluck von dem Wasser, und dann ist es ihm egal, ob der andere sein Schmunzeln eitel findet, als würde er sich geschmeichelt fühlen; in Wahrheit freut er sich nur darüber, dass eine der Gnaden des Älterwerdens darin besteht, andere müheloser zu durchschauen. Richard selbst hat stets ein sehr ernstes Arbeitsethos an den Tag gelegt, und auch wenn es aus der Distanz betrachtet etwas theatralisch oder gar hochstaplerisch daherkam, gemessen an den Ergebnissen, war der Jüngere lange beeindruckt davon gewesen. »Ich muss arbeiten!« – das hieß ja vor allem, dass er es konnte ; während Wolf das feine Knacken, mit dem die Bleistiftspitze bricht, oft schon hörte, bevor er sie ansetzte. Richards ganzes Leben schien nur von der Arbeit bestimmt zu werden; er machte nicht einfach eine Schiffsreise – er arbeitete an Bord; er fuhr nicht nur in die Provence oder sonst eine schöne Gegend – er

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