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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Telefonaten, und während sie spricht, horcht er so lange in sie hinein, bis er das Gefühl hat, dass seine halblaute, mit einem »Übrigens …« begonnene Ankündigung durch die betonte Beiläufigkeit nicht etwa unterstrichen wird und möglicherweise doch einen Streit oder Tränen hervorruft. Denn dass sie sich entschlossen hat, dasVerhältnis zu akzeptieren, heißt nicht, dass es ihr leicht fällt, wenn er zu der anderen geht. Ihre plötzliche Schlaflosigkeit, der neue Ernst in ihren Augen, die Spuren von Erbrochenem im Bad sprechen für sich.
    Wenn er dann »Hab nachher noch was vor« sagt oder »Bin heute Abend wohl nicht da«, lässt sie sich von einer Enttäuschung jedenfalls nichts ansehen; sie nickt kaum merklich, fragt vielleicht noch, ob er vorher etwas essen möchte oder ein gebügeltes Hemd brauche, und ermahnt ihn, nicht immer das ausgebeulte Cordsakko oder die Wildlederjacke anzuziehen, wenn er zu seiner Geliebten gehe; er habe doch so schöne Anzüge. Und wenn die Stunde naht und er sich duscht, rasiert, die müder werdende Haut am Hintern eincremt und frische Wäsche anzieht, bleibt sie mit Webster in ihrem Zimmer und arbeitet oder hört leise Musik, meistens Mozart oder Haydn. Sich von ihr zu verabschieden, bringt er dann aber nicht fertig; wie auch immer ihr Blick ausfällt, er würde nur Schmerz darin sehen oder das Bemühen, ihm ihre Traurigkeit zu verbergen. Grußlos steigt er die Treppe hinunter und zieht leise die Tür ins Schloss.
    Und so wie er früher bei Trennungen nie fassen konnte, dass es nach aller Leidenschaft und Verzweiflung, nach den Kämpfen und Tränen und Suizidgedanken am Ende um einen Toaster ging, einen Satz Eierbecher oder eine unbezahlte Lichtrechnung, so kann er jetzt kaum glauben, dass die neue Situation tatsächlich nur dann zu Misstönen oder einem Krach führt, wenn er vor dem Treffen mit Charlotte länger nicht mit Alina geschlafen hat, die andere also vorzuziehen scheint– was natürlich falsch ist; er muss sich nach dem Terminkalender der Vielbeschäftigten richten. Doch der interessiert seine Frau herzlich wenig, und nachdem er die Wichtigkeit der Reihenfolge erkannt hat, achtet er nicht ohne inneres Schmunzeln darauf, das irgendwie zoologisch anmutende Ritual einzuhalten und zuerst mit ihr ins Bett zu gehen. Und weil er nicht möchte, dass sie sich in irgendeiner Weise deklassiert vorkommt, ist er liebevoller denn je – was ihre Schreie, die gerötete Haut zwischen den Brüsten und die ungewöhnliche Heftigkeit ihrer Bewegungen zu bestätigen scheinen. Als wäre sein trübes Gewissen der Schwefel, der aus der Sache ein Feuerwerk macht.

    Gerade in der ersten Zeit nach dem Geständnis mutet er sich aber auch mehr zu, als er zu leisten vermag; euphorisiert von seiner jähen Freiheit und entlastet von der Notwendigkeit, sich zu verstellen, lebt er jetzt manchmal wie mit neuen Schultern und fällt angesichts der veränderten, offenbar vom Schatten der anderen belebten Attraktivität Alinas auf sein eigenes Klischee von Männlichkeit herein. Das enge Seidenkleid, die Netzstrümpfe mit dem Loch an der Ferse und das herrlich ordinäre Blau der Lider – manchmal drückt sie ihn noch kurz vor der Abfahrt der Bahn in die Ecke, um ihm das Mark auszusaugen, was er sich schon deswegen gern gefallen lässt, weil es ihm das Gefühl gibt, Kraft zu haben, außergewöhnliche, und nicht nur den Willen zur Kraft.
    Bei dem es in Wahrheit aber doch bleibt. Und dannsinkt er mit hohlen Knochen auf Charlottes Sofa, wo sie sich zwar ausziehen, aber erst einmal einen Pornofilm auf ihrem Laptop ansehen und darauf warten, dass sein Schwanz aus seinem Schneckenschlaf erwacht. Sie hat ein ganzes Sortiment von DVDs mit Titeln wie »Feuchte Fesseln«, »Die Spritzparade 1–4« oder »Heute mal: Anal!«. Die Hersteller oder Verlage, an die sie ein Schreiben mit Universitäts-Briefkopf geschickt hat, haben sie ihr überlassen für eine Studie über das psychologische Profil von Porno-Konsumenten, den Auftrag einer feministischen Zeitschrift. Ihr Lieblingsfilm ist eine lesbische Nummer, bei der die beiden vollbusigen Frauen ihre Mösen wie Fruchthälften gegeneinander reiben, endlos, und das leise Geräusch das dadurch entsteht, kommt ihm wie die akustische Übersetzung von Süße vor, reiner Süße.
    Schon vor ihrer allgemeinen Zugänglichkeit im Internet konnte er sich dem leicht Hypnotisierenden solcher Darstellungen nur schwer entziehen; in Hotels mit entsprechenden Fernsehprogrammen lag er

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