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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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um den Monte Saccarello ihre Schafherden hüten, haben ihn mehrfach gebissen, und Wolf sperrt den knurrenden Webster in das Arbeitszimmer. Alina, die nach Tübingen musste, um sich mit dem Zweitgutachter ihrer Dissertation zu besprechen, und anschließend eine Freundin in Zürich besuchen will, hat alles aufgeräumt vor ihrer Abreise, die Böden mit duftender Holzseife gereinigt und sogar die großen Glaswände vor dem Südbalkon geputzt, und Wolf konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, auch noch eine Tarte au citron zu backen. Weine stellte er kalt, trockene Weißweine, und für alle Fälle eine Flasche Schnaps, doch dann sinkt Richard, atemlos vom Treppensteigen, ohne eine Einladung abzuwarten auf den nächstbesten Sessel und will, wie seine Frau, nur Wasser.
    Die lässt sich von Wolf einen Stuhl anbieten, mit gerader Lehne, verschränkt die Hände im Schoß, und sagt zunächst nichts. Zart das Lächeln mit schmalen Lippen, ernst und auch ein wenig melancholisch der von feinen Falten umstrichelte Blick aus braunen Augen. Ihre langen, dunkel getönten Haare hat sie zu einemKnoten aufgebunden, der auf irgendeine Weise von zwei lackierten Essstäbchen zusammengehalten wird, und zu einer weißen, am Hals mit einer Bernsteinbrosche geschlossenen Bluse trägt sie einen knöchellangen Leinenrock, ebenfalls weiß. Deutlich ist zu fühlen, dass sie die Stimmung abwarten möchte, die zwischen den beiden Männern entsteht; ihre Miene hat etwas bemüht Neutrales, und während er sie aus den Augenwinkeln mustert, ist Wolf doch erstaunt, wie sehr ihre Silhouette abweicht von dem, was er bislang für Richards Frauenbild hielt. Wie eine Radierung von einem pastosen Gemälde.
    Als sie noch miteinander umgingen, wechselte der die Geliebten fast vierteljährlich, was der Jüngere aus dem Verlies seiner Schüchternheit heraus nicht ohne Neid beobachtete. Richard war einer jener klassischen Charmeure, für die das Wort Verführung trotz der muffigen moralischen Aura nichts Problematisches hat und die Zierlichkeiten oder Komplimente anbringen wie Konditoren süße Kringel auf den Torten. Ohne je wirklich in Leidenschaft zu geraten, schrieb er Liebesgedichte wie am Fließband und war alles in allem davon überzeugt, dass zu einer fachgerechten Verführung nichts weiter als eine Flasche Wein, Kerzenlicht und ein Kaminfeuer gehören. Hauptvoraussetzung allerdings: Die Betreffende musste große, am besten riesige Brüste haben. Der Blick konnte gemein oder das Lächeln falsch sein, ihr Wesen berechnend oder geldgierig, die Hüften durften mehr versprechen, als der Hintern schließlich hielt, doch wehe, der Schatten der Oberweite reichte nicht bis an sein Glas heran; ihreSilhouette war das Kronenrund seiner Sehnsucht, und wenn die Schöne kein Gehirn hatte, machte das auch nichts; er stopfte Blumen, Seidentücher und Konfekt in die Lücke und drückte sie, unablässig Schmeicheleien flüsternd, Richtung Bett. Im Übrigen gehörte er zu der Sorte Männer, die Frauen vergöttern und auf einen Sockel heben, damit sie nicht dauernd im Weg stehen.
    Hannelore heißt die zarte, gänzlich flachbrüstige Lebensgefährtin, die schöne lange Hände hat und gerade von ihrem Wasser nippt, so dass durch das Prisma des Glases ein paar vergrößerte Härchen am Kinn zu erkennen sind. Sie hat Wolf angerufen vor einigen Tagen und nach ein paar Freundlichkeiten unumwunden gefragt, ob er auf dem Fest, das Richards Heimatort in Norddeutschland anlässlich seines fünfundsiebzigsten Geburtstages plant, nicht eine Rede halten könne, mit einem Abriss über Leben und Werk. Erschrocken war der ins Stammeln geraten, nicht nur, weil eine Ablenkung von seiner eigentlichen Arbeit drohte; seit Unzeiten schon hat er kein Bild mehr gesehen und kaum noch etwas gelesen von dem einstmals Verehrten, der ihm in so vielem geholfen hat und jetzt offenbar Schulden eintreiben wollte. Das kam ihm zwar um so kleinlicher vor, als er dabei seine Frau vorschickte, aber Wolf fühlte, dass er hier nicht absagen konnte, ohne hinterher als – mindestens – unkollegial dazustehen; und während er schon eine endlos steife Feier voller Honoratioren und Blumen und wohlmeinender, den Weihrauch schief durchschneidender Töne in einer von Kuhweiden umgebenen Stadthalle mit Flachdach vor sich sah, tat er es trotzdem; er holte Luft undsagte ab, aus irgendeinem erlogenen Grund. Das kurze Schweigen auf der anderen Seite der Leitung sollte wohl ein Vorwurf sein, aber er hörte der Musik in seinem

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