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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Simon
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verrückt! Er ist verloren!«
    Sie hatte recht – selbst wenn es ihm gelänge, den Mann herunterzuholen, so würde sich die aufgepeitschte Menge auf ihr Opfer stürzen und es hier unten zerreißen. Aber zu verlieren hatte er auch nichts; also nahm er Hände und Ellbogen zu Hilfe, um sich den Weg zur Opferbrücke freizukämpfen. An der Mauer, hinter der der Fluss in der Tiefe rauschte, drängten sich die Menschen so dicht, dass man kaum atmen konnte. Besonders Waghalsige waren auf die hüfthohe Mauerkrone gestiegen und hielten sich an den Schultern ihrer Vordermänner fest. Manche taten es nicht freiwillig – sie mussten nach oben ausweichen, um nicht zerdrückt zu werden. Anscheinend wurde das Festopfer immer auch von einigen Unfreiwilligen hinab in die Schattenwelt begleitet. Diese irrsinnigen Städter!
    Royia hatte den Manoqbaum erreicht. Er berührte den Stamm, um die Verbindung zu den Lebensadern aufzunehmen. Hände griffen nach ihm und wollten ihn zurückhalten, als wüssten die Menschen, was er vorhatte. Er schüttelte sie ab und lief den Stamm hinauf. Kurz sah er zurück, sah sie, wie sie unten standen und fassungslos glotzten. Zwei Tempelwächter waren dabei, sich zu dem Baum durchzukämpfen. Ihr Brüllen, man möge zurücktreten, ging unter; sie hoben ihre Lavasteinschwerter, und Royia sah zu seinem Entsetzen, dass sie zuschlugen. Die Menschen stoben zurück. In ihre Rufe mischten sich die spitzen Schreie grenzenloser Furcht. Die Menschenmenge brandete gegen die Flussmauer und darüber hinweg; fünf, sechs Menschen krallten sich in die Haare oder Kleidung anderer, doch es rettete sie nicht mehr vor dem Sturz in den Fluss.
    Er rannte hinauf, sprang in der Baumkrone von einem aufstrebenden Ast zum nächsten und mit einem letzten Satz auf die Brücke.
    Naave stand nur eine Armlänge entfernt.
    »Royia«, sagte sie. Das Wort ging unter im Getöse; er las es von ihren Lippen. In den Händen hielt sie ein bronzenes flaches Ding, von dem er nicht wusste, wozu es diente. Jemanden damit schlagen ließe sich sicherlich gut. Alle seine Fragen wollten gleichzeitig aus seiner Kehle und waren einander im Weg: Bist du froh, mich zu sehen? Oder möchtest du wieder weglaufen? Was denkst du? Sag es, und sag es schnell, bevor sie mich ergreifen.
    »Naave …« Mehr brachte er nicht hervor. Aber die Hand nach ihr auszustrecken, das würde er schaffen. Er hob sie, und Naaves Augen leuchteten erwartungsvoll. Ihre Lippen zitterten, formten immer wieder seinen Namen. Freudig. Ja, freudig. Mehr als das. Zwei Tränen rannen aus ihren glänzenden Augen.
    Für einen langen Augenblick vergaß er, wo er war. Er hörte nichts mehr, nur noch das Pochen seines Blutes; er sah nichts mehr, nur noch diesen frohen Blick.
    Seine Fingerspitzen berührten ihre Wange …
    Ein Blitzen in ihren Augen; ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei. Wie einstmals Aja hörte er ihre Stimme nur in seinem Kopf.
    Vater! Nein!
    Mit schmerzhafter Wucht prallte die Wirklichkeit zurück auf seine Augen und Ohren. Der Lärm schien noch lauter geworden zu sein. Er drehte sich um und sah den Hohen Priester mit erhobenem Dolch vor sich stehen.
    »Stirb endlich!«, brüllte Naaves Vater.
    Royia musste nur die Hand heben, um den Hieb abzufangen. Der wohlbekannte Schmerz, als seine Finger die Klinge umschlossen, fuhr wie ein Peitschenhieb durch seinen Arm. Zugleich drehte er den Dolch aus der Hand des Hohen Priesters und schleuderte die Waffe von der Brücke.
    Er hielt die Hand hoch erhoben. Aus den Schnitten loderten Flammen. Die Priesterin neben Naave keuchte und wankte. Bevor Naave nach ihr greifen konnte, um sie zu stützen, schlug sie die Hand vor den Mund und hastete zurück in den Vorraum. Auch die Priester am äußeren Feuerbecken waren blass geworden. Einer sackte auf die Knie und klammerte sich an dem Gestell fest. Nur der Hohe Priester stand stolz aufgerichtet, als hätte er sich nicht lächerlich einfach entwaffnen lassen, eine Hand an der Schulter des Opfers, wie um klarzustellen, dass der Mann sein Besitz war. Die Axothaut, die ihn umhüllte, mitsamt den halbaufgerichteten Flügeln und dem schnabelbewehrten Kopf, schien einem von zu viel Rauschtrank verursachten Alptraum entsprungen zu sein.
    Dieser Fleck …
    Das kann nicht sein!
    Hierfür hatten die Toxinacen Aja gehäutet. Für diese groteske Schande.
    Aja  …
    Royia machte einen wankenden Schritt auf die Bahre zu. Er packte mit der unverletzten Hand eine Tragstange, weil er Halt brauchte. Einen

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