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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Simon
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»Wie meinst du das?«
    »Ich meine, dass das Leben im Licht eine Lüge ist.«
    »Das – das ist Unsinn.«
    Das Stocken hatte ihn verraten. Mein Vater kennt das Rätsel, dachte Naave.
    »Sag mir, was es bedeutet. Sag mir, was dort oben nicht so ist, wie man es mir immer in den schönsten Farben ausgemalt hat«, verlangte Royia. Beinahe harmlos züngelten die Flammen auf seiner Handfläche. Er hielt die Hand, als trüge er darauf eine Ölschale.
    »Was hat man dir erzählt?«
    »›Schönheit über Schönheit erblickt das Auge‹, heißt es in einem Lied. ›Gold, Silber, Edelsteine. Wasser, das munter aus Quellen sprudelt. Vögel, die sich auf der Schulter niederlassen. Wild, das durch Gärten zieht. Keine Furcht mehr vor den allgegenwärtigen Gefahren des Waldes. Keine Leiden, keine Schmerzen. Ein Leben in Licht und Sonne; und kein Gott, sofern er atmet, denkt und liebt, sehnt sich wieder fort.‹«
    Naave sah, wie ihr Vater angestrengt schluckte.
    »Die Göttin des achten Mondes und die Toxinacen haben mich mein Leben lang belogen. Mich, den Gott des zehnten Mondes. Ich habe ein Recht, es zu wissen. Und ich werde dich töten, wenn ich nicht endlich Antworten bekomme.«
    »Eine Lüge?« Auch Tlepau Aqs Hand hob sich; er hatte sich gefasst. »Alles ist, wie es sein soll. Sieh dich doch um, sieh das Land und deinen Wald, wie beides gedeiht; sieh die Stadt, wie sie voller Leben ist. Was dort oben auf dem Goldenen Bergpalast geschieht, dient dem Gedeihen der Welt. Man hat es dich doch gelehrt? Die Götter dienen dem Gott-Einen, indem sie ihm ihre Kräfte schenken. Sie geben ihm ihr Licht, ihr Feuer, ihre Wärme. Und sein Licht, sein Feuer, seine Wärme sind es, die die Welt atmen lassen. Willst du hinaufgehen und es beenden? Dann vernichtest du all das!« Tlepau Aqs ausgreifende Geste schien die ganze Welt zu umfassen.
    »Ihr Licht, ihr Feuer, ihre Wärme?«, wiederholte Royia zweifelnd.
    »Ja, all das. So hat man es dich gelehrt. Und es ist auch nicht falsch.«
    »Aber es ist nicht die ganze Wahrheit.«
    Ihr Vater zögerte. »Nein«, gab er schließlich zu.
    »Sag sie mir.«
    »Sie ist tief verschlossen in meinem Herzen. Nichts kann sie herausreißen. Nichts.«
    Nichts? Wenn sie, Naave, seine Nachfolgerin würde, musste er die Wahrheit sagen. Wenigstens ihr.
    Sie öffnete den Mund, doch er kam ihr zuvor: »Ja, irgendwann wirst du es erfahren, meine Tochter. Du bist gerade erst eine Novizin geworden und hast wahrscheinlich noch nicht einmal das richtig begriffen. Die ganze Wahrheit käme für dich viel zu früh.« Ihr Vater tat einen langen, schweren Atemzug. »Glaub mir, ich wünschte, ich würde sie nicht kennen. Nach all den Jahren raubt sie mir heute noch den Schlaf.«
    »Kennt Toxina Ica die Wahrheit?«, fragte Royia.
    »Er ist der Gott-Eine; wie sollte er nicht? Du hättest mit Freuden und Demut in seinen Dienst treten sollen, statt um dich zu schlagen und alles in Gefahr zu bringen. Aber ich wusste ja, dass es so kommen würde! Toxina Ica steh mir bei – ich wusste es.«
    »Woher?«
    »Die alten Schriften sagen, dass ein Erwählter sich niemals allzu weit von seinem Stamm entfernt, weil ihn jederzeit der Ruf auf den Berg ereilen kann.« Naave schien es, als bräche eine Angst aus ihm hervor, die ihn zeit seines Lebens – oder seiner Amtszeit – begleitet hatte. Er fuhr sich durchs Gesicht, grub die Finger unter den Axotschnabel. Sie zitterten wie die eines alten Mannes. »Deshalb war mir und auch meinem Vater und wohl allen Hohen Priestern vor uns klar, dass ein Erwählter, sollte er je in der Stadt auftauchen, auf der Flucht sein müsse.«
    »Wer hat mir das Schriftzeichenholz geschickt?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber irgendjemand wollte, dass ich lebe.«
    »Das ist auch mir ein Rätsel! Und nun? Wirst du mich jetzt verbrennen?«
    »Ich sollte dich von der Brücke stoßen, statt des Mannes hier«, fuhr Royia ihn voll ohnmächtiger Wut an. Er ballte die brennende Hand zur Faust, so dass die Flammen zwischen den Fingern hervorzüngelten.
    »Nein!« Naave warf ihre Erstarrung ab. Sie lief zu ihm und fiel ihm in den anderen Arm. Sie liebte ihren Vater nicht – aber das durfte nicht geschehen. Es waren genug gestorben, genug! Kaum hatte sie Royia berührt, öffnete er den Arm, und sie konnte nicht anders, als die Einladung seiner Umarmung anzunehmen. Sie fürchtete sein Feuer nicht. Sein Arm lag um ihre Schulter und presste sie an ihn.
    »Naave!« Der Ruf ihres Vaters war ein gequälter Laut des

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