Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Schritt stand er von dem Hohen Priester entfernt. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um den Fleck zu berühren. Noch einmal die zarte Stirnhaut spüren … Aber wenn er es täte, würde er schreiend in Flammen aufgehen wie Muhuatl. So konnte er nur starren, innerlich um Aja weinen und gleichzeitig lachen, weil dieser Mann in ihrer Haut so schauerlich aussah, so grauenhaft falsch.
In seinem Innern hallte Xocehes Stimme, eine längst verdrängte Erinnerung.
Ach, Royia. Den ersten Schnitt zu setzen, fällt mir bei jedem Schüler schwer …
Sein Körper war noch ungezeichnet. Von einigen hell glänzenden, winzigen Narben abgesehen, wie sie jedes Kind aufwies, das sein Leben mit Jagen und Herumtoben verbracht hatte. Xocehe berührte mit der Schneide des Messers seinen Unterarm. Die Haut zog sich zusammen. Er fror, obwohl es ein heißer Tag war, und starrte auf das Messer. Fahrig leckte er sich den Schweiß von der Oberlippe.
Er schluckte. »Wird es sehr weh tun?«
»Du bist fünfzehn; du weißt, wie es ist, wenn man sich versehentlich mit dem Jagdmesser schneidet. Aber seltsamerweise fragt mich das zunächst jeder.«
Ihre linke Hand umfasste sein klammes Handgelenk. Unter ihren Fingerkuppen erspürte er sein Zittern. Sie drehte den Arm herum und setzte das Messer an der empfindlichen Unterseite an. »Und hier tut es noch mehr weh.«
Erschrocken keuchte er auf, als sie die Klingenspitze in die Haut grub. Ein Blutstropfen sickerte heraus.
»Das tut sehr weh«, stellte er bemüht sachlich fest. »So habe ich mir das nicht vorgestellt, ihr Götter, das ist ja furchtbar. Kann ich mir die Sache nicht noch einmal überlegen? Eigentlich hat mich sowieso keiner gefragt, wenn ich es recht bedenke.«
Er hatte einen Toxinacen sagen gehört, dass manche Erwählte beim ersten Mal einfach nur schwiegen und sich auf die Zähne bissen. Manche begannen zu plappern – wollten sich ablenken oder in Scherze retten, wie er. Die meisten jedoch flehten oder heulten. Er war entschlossen, beides nicht zu tun.
»Ich werde die Narben zu schönen Bildern und Mustern fügen«, sagte Xocehe. In ihrem Blick lagen zugleich Lust und Bedauern. »Du wirst dich deines Körpers nicht schämen müssen. Das verspreche ich dir. Und halte dein Leben nicht für einen Ablauf von Qualen. Es wird Monate geben, in denen gar nichts geschieht. Mehr als einen Schnitt täglich werde ich dir nicht zumuten. Und sie werden schnell heilen.«
Danach lag er doch mit verheultem Gesicht und zerbissenen Lippen auf der Seite und ließ sich von ihr die Stirn kühlen. Sie holte ein Bündel, das sie ihm in den Arm legte. Er sah auf. Ein Axotjunges reckte das Köpfchen heraus. Seine zitternden Finger strichen behutsam über den violetten Fleck auf der Stirn. In seinem Kopf hörte er es nervös quieken.
»Jeder Erwählte bekommt ein Axot geschenkt. Es wird dich trösten und deine Wunden heilen. Einen besseren Freund wirst du niemals haben. Wie willst du es nennen?«
Er lauschte dem Fiepen und meinte ein Wort herauszuhören. »Aja«, sagte er.
Warum lachte er und sah dabei so gramvoll aus, dass es Naave im Innersten weh tat? Oder war es kein Lachen, vielmehr ein verzweifeltes Aufschreien? Sie wollte zu ihm, wollte über seine Wangen streichen, um die Tränen abzuwischen. Und um sich selbst zu überzeugen, dass er wirklich, wirklich hier war. Doch sie ahnte, dass sie jetzt besser nicht zwischen diese beiden Männer trat. Der Lärm verebbte allmählich. Lagen die Menschen etwa allesamt berauscht, betrunken und erschlagen übereinander? So war es nicht, wie ein Blick hinab verriet. Vielleicht waren sie nur heiser geschrien, zu erschöpft – wo man nicht gar so dicht beisammenstand, hockten sich die Leute hin. Alle sahen herauf. Nur längs der Mauer war das Toben in Jammern und Wehklagen übergegangen.
Aus dem Vorraum erklangen schwere Schritte. Drei, vier Tempelwächter drängten sich am Eingang.
»Bist du in Gefahr, Herr?«, rief einer herüber. Beide, Tlepau Aq und Royia, hoben eine Hand in Richtung der Männer; der eine abwehrend, der andere, um drohend sein Feuer zu zeigen.
Ihre Blicke waren ineinander verhakt.
»Wie bist du an die Axothaut gekommen?«, fragte Royia. Er hatte seine Fassungslosigkeit überwunden. Seine Stimme war kalt. Er war zum Töten bereit.
»Ich glaube, du weißt es«, erwiderte Tlepau Aq.
Royia schüttelte den Kopf. »Sag mir, was du weißt, und ich verschone dein Leben.«
Aus Tlepau Aqs Mund kam ein krächzender ungläubiger Laut.
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