Feuer der Leidenschaft
las er Thomas J. Morley auf der obersten Karte.
Großartig. Er hatte sich einen Vorwand gewünscht, unter dem er Tom Morley einen Besuch abstatten konnte, um den Mann diskret auszuhorchen. Und nun hatte er, was er brauchte.
Diesen Fund als gutes Omen nehmend, holte er nun auch seine Zeichenutensilien aus dem Schrank und setzte sich damit an seinen Tisch. Nach kurzer Überlegung hatte er auch ein passendes Thema gefunden. Vor ein paar Tagen hatte Beth ihm einen Brief von Michael und Catherine, einem mit ihm befreundeten Ehepaar, nach London nachgeschickt. Sie hatten ihm darin die Geburt eines Sohnes angezeigt und ihn zu einer wochenlangen Taufparty eingeladen, die auf einer Insel vor der Küste von Cornwall stattfinden sollte. Nur hatte er bedauerlicherweise weder die Zeit noch das Geld, um an dieser Party teilnehmen zu können. Selbst zu einem angemessenen Geschenk für den Täufling fehlten ihm die Mittel. Da mußte ein von ihm selbst angefertigtes Bild genügen. Er machte sich nun an die Arbeit und benützte erst einen weichen Bleistift, um eine Familiengruppe zu skizzieren, die vor einem Taufbecken versammelt war: in der Mitte der Vater, entzückt und auch ein wenig aufgeregt, weil er seinen Sohn auf dem Arm tragen durfte; und zu seiner Linken seine Frau Catherine, die ihren Kopf ein wenig ihrem Ehemann zuneigte, während sie als fürsorgliche Mutter vor dem Taufakt noch rasch ein wenig die Falten des Taufgewands ihres Sohnes ordnete.
Rechts neben Catherine hatte dann deren Tochter Amy ihren Platz, die ihren kleinen Bruder mit einem strahlenden Lächeln ansah. Amy mußte inzwischen schon dreizehn sein.
Kenneth hatte sie zum letztenmal ein paar Wochen vor der Schlacht bei Waterloo gesehen, und deshalb war er jetzt auf Vermutungen angewiesen, wie groß sie inzwischen geworden war. Sie mußte jetzt schon fast eine junge Lady sein, die ihrer schönen Mutter sehr ähnlich sah.
Nachdem er die Gruppe mit dem Bleistift skizziert hatte, machte er sich daran, mit Feder und Tusche die eigentliche Zeichnung anzufertigen. Zuweilen schien ein Gott ihm die Hand bei dieser heiklen Arbeit zu führen, und das war offenbar eine dieser seltenen Gelegenheiten, wo das geschah. Tusche verzieh einem Zeichner auch nicht den kleinsten Fehler, doch hier saß jeder Strich genau an der richtigen Stelle. Für die Gesichter nahm er sich besonders viel Zeit, da sie das wichtigste Gestal-tungselement für das waren, was er mit diesem Bild ausdrücken wollte: die Liebe, die dieses neue Leben erschaffen hatte. Da er die Örtlichkeit nicht kannte, wo \
diese Taufe stattfinden sollte, machte er nur ein paar vage, bogenförmige Striche im Hintergrund, die auf ein Kirchengewölbe hindeuteten.
Die fertige Zeichnung gefiel ihm, und er glaubte, daß sie auch Michael und Catherine gefallen würde. Aber als er nun das Blatt beiseitelegte, überkam ihn ein Gefühl der Trauer. So viele Jahre hatte er von seiner Heimkehr nach Sutterton geträumt, und auch eine Hochzeit war Bestandteil dieser Träume gewesen. Er hätte niemals geglaubt, daß er, wenn sein wichtigster Traum in Erfüllung ging, zu arm sein würde, um eine Frau und Familie ernähren zu können. Selbst wenn Lord Bowden ihm die Hypothekenschuld, die auf dem Besitz lastete, erlassen würde, lagen noch viele anstrengende Jahre vor ihm, um den Besitz wieder profitabel zu machen. Das Kapital, das er in dieser Zeit vielleicht erwirtschaften würde, würde er wieder in Sutterton investieren müssen, und wenn dann doch noch etwas Geld übrigblieb, mußte er davon Bethens Unterhalt bezahlen.
Mit einigem Widerwillen erinnerte er sich jetzt wieder daran, daß seine Situation erheblich rosiger aussah, seit Lord Bowden in sein Leben getreten war. Es mochte vielleicht zehn Jahre dauern, bis er in der Lage sein würde, zu heiraten. Mit Glück und harter Arbeit würde dieser Zeitpunkt schließlich doch noch kommen.
Er blickte wieder auf die Zeichnung hinunter, und einen Moment lang sah er an der Stelle von Michael und Catherine sich selbst und Rebecca stehen.
Was für ein närrischer Gedanke! Wenn Rebecca ihn auch faszinieren mochte, so war sie doch das am wenigsten zu einer Ehefrau taugende weibliche Wesen, das ihm jemals im Leben begegnet war. Falls er jemals heiraten sollte, dann würde das wohl eher eine so warmherzige und liebevolle Frau sein, wie Catherine das war - nicht eine so scharfkantige, widerborstige Jungfer, die das Malen der Gesellschaft von Menschen vorzog.
Da er sich noch deprimierter
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