Feuer der Leidenschaft
fühlte, legte er nun den Skizzenblock in den Schrank zurück. Draußen schob sich bereits die Sonne langsam über den Horizont. Vielleicht würde ein Ausritt mit Sir Anthonys Pferd seine Laune ein wenig verbessern.
Kenneth verweilte einen Moment lang unter der Tür, um den jungen Mann zu beobachten, der dort vor ihm in dem kleinen Büro fleißig etwas schrieb. Es war ein hagerer, adrett gekleideter, intelligent aussehender Bursche, der jedoch, wenn man sein Gesicht genauer betrachtete, vielleicht ein bißchen zu sehr von seiner Wichtigkeit überzeugt war. Ein Sekretär, der nicht nur mit den Geschäften seines Arbeitgebers, sondern auch mit dessen privaten Angelegenheiten vertraut zu sein schien. Genau das, was Kenneth suchte.
Er klopfte jetzt gegen den Türrahmen, und der junge Mann blickte von seiner Schreibarbeit auf. »Tretet ein, Sir«, forderte er Kenneth höflich auf. »Ich bin Thomas Morley, Sir Wildfords Sekretär. Er befindet sich im Augenblick in einer Sitzung, aber vielleicht kann ich Euch helfen.«
Kenneth ging nun in den kleinen Raum hinein. »Tatsächlich bin ich hierhergekommen, um mit Euch zu sprechen. Ich bin Kenneth Wilding, Sir Anthony Seatons neuer Sekretär.«
Ein kurzes, überraschtes Flackern in den Augen des jungen Mannes verriet Kenneth, daß auch Morley zu den Leuten gehörte, die meinten, daß er, Kenneth, nicht der für diesen Job geeignete Mann sei. Er versteckte sein Befremden jedoch rasch hinter einem Lächeln, stand von seinem Schreibtisch auf und streckte Kenneth die rechte Hand hin.
»Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen. Ich habe schon gehört, daß es Sir Anthony schließlich doch noch gelungen ist, jemanden für diesen Posten zu finden. Ihr seid Captain Wilding, nicht wahr?«
Kenneth bestätigte den Titel mit einem kurzen Nik-ken und holte, nachdem er Morley die Hand geschüttelt hatte, das silberne Visitenkarten-Etui aus der Tasche. »Man hat mir das Zimmer gegeben, in dem auch Ihr gewohnt habt, und gestern habe ich das in einer Ecke des Kleiderschranks gefunden, wo es in einer Ritze eingeklemmt war. Sir Anthony hat mir dann Eure augenblickliche Adresse verraten, und da ich zufällig hier in Westminster etwas erledigen mußte, dachte ich mir, ich könnte auch kurz bei Euch vorbeischauen und Euch das Etui persönlich überbringen.«
Morleys Gesicht leuchtete vor Freude auf, als er das Etui entgegennahm. »Großartig! Das Etui hat mir nämlich meine Patentante geschenkt, als ich in Oxford mein Examen machte. Bei der Konfusion, die bei meinem Umzug und dem Antritt meiner neuen Stellung herrschte, hatte ich den Verlust des Etuis zunächst gar nicht gemerkt und dann befürchtet, es nie wiederzusehen.«
Er schob es jetzt in eine Jackentasche. »Ich hatte mir gerade vorgenommen, nach diesem Brief hier in ein Wirtshaus gleich in der Nähe zu gehen, um dort etwas zu essen. Wollt Ihr mich nicht dorthin begleiten, Captain? Ich hätte Euch gern zu einem Dinner einladen, um Euch meine Dankbarkeit zu zeigen. Ihr könnt mir dann beim Essen berichten, was es im Hause der Seatons Neues gibt.«
Da Kenneth den Zeitpunkt seines Besuches eigens auf den späten Nachmittag gelegt hatte, weil er Morley zum Essen hatte einladen wollen, um sich ausgiebig und ungestört mit ihm unterhalten zu können, nahm er dessen Angebot natürlich sofort an. Und so saßen sie sich keine zehn Minuten später in einem Gasthof in der Nähe des Parlaments bei einem ausgezeichneten Beefsteak an einem Tisch gegenüber. Die Tatsache, daß sie beide für Sir Anthony gearbeitet hatten, sorgte dafür, daß so etwas wie eine kollegiale Atmosphäre zwischen den beiden herrschte und Morley Kenneth wie einen alten Bekannten behandelte, mit dem er freimütig reden konnte.
Das tat er nun auch. Und nachdem er Kenneth eine halbe Stunde lang von seiner politischen Arbeit erzählt hatte, brach er lachend mitten im Satz ab: »Tut mir leid, daß ich ständig nur von mir rede, aber mir macht meine neue Stellung eben unheimlich viel Spaß. Wie denkt Ihr denn über Euren Job im Haus der Seatons?«
Kenneth nahm einen Schluck Ale. »Anders.«
Morley lächelte. »Eine sehr taktvolle Antwort, würde ich meinen. Man kann die prominentesten Persönlichkeiten von Britannien in Sir Anthonys Haus kennenlernen. Aber ich bedaure es nicht, daß ich meine Stellung dort aufgegeben habe. Der Haushalt eines Künstlers hat etwas Chaotisches -
findet Ihr nicht auch? Wenn man versucht, ihn etwas effizienter zu machen, ist das so,
als
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