Feuer der Rache
von seiner Ausfahrt nicht zurückkam, aber ich vermisse ihn noch immer. Oft macht es mir nichts aus, allein zu sein, doch dann wird es mir wieder schmerzlich bewusst, dass von der Familie kaum jemand geblieben ist. -Außer Peter, aber der ist ein Einzelgänger, der sich nichts aus seiner alten Tante macht. Das soll jetzt kein Vorwurf sein", fuhr sie schnell fort. Sabine betrachtete sie aufmerksam. „Nur manches Mal wünsche ich mir jemanden, den ich um Rat fragen kann, der mir zur Seite steht und mir hilft. Ich meine jetzt nicht jemanden, der mir im Haushalt zur Hand geht. Seit Tagen trage ich eine Sorge mit mir herum, die mich quält. Ich würde so gern helfen, weiß aber nicht, was tun." Sie warf Sabine einen schnellen Blick zu.
„Wollen Sie mir nicht von Ihrer Sorge erzählen?", reagierte die Kommissarin wie erwartet und fühlte sich dabei, als wäre sie blindlings in einen trüben Tümpel gesprungen, ohne vorher zu erkunden, wie tief das Wasser war. Sie wunderte sich über dieses seltsame Gefühl. Ging es nicht nur darum, einer einsamen, alten Dame, für die sie freundschaftliche Gefühle entwickelte, zuzuhören, Mitgefühl zu zeigen und ein paar Erinnerungen mit ihr zu teilen?
„Meine Nachbarin von schräg gegenüber ist außer sich, und ich teile ihre Sorgen", begann Rosa Mascheck. „Irene lebt schon eine Ewigkeit hier, und vor ein paar Jahren sind ihre Enkelinnen Maike und Iris zu ihr gezogen. Sie bewohnen die beiden Kammern unter dem Dach, für die Irene sowieso keine Verwendung mehr hat. Seit sie sich vor fünf Jahren die Hüfte gebrochen hat, kommt sie die steile Treppe unters Dach nicht mehr hinauf. Die Mädchen erledigen nun ihre Einkäufe und halten das Haus sauber -soweit sie es selbst nicht mehr schafft."
Sabine nickte. Die Wachsamkeit in ihrem Blick verebbte. Sollte sie Wasserkisten die Treppen der Panzerstraße hochtragen oder die Nachbarin zum Arzt fahren, weil die Mädchen genug davon hatten, ihre gebrechliche Großmutter zu umsorgen?
„Vor fünf Tagen, am Ostersonntag, ist Iris, die Zweitgeborene der Zwillinge, verschwunden, und Irene hat seitdem nichts mehr von ihr gehört."
„Wie alt ist das Mädchen?", fragte die Kommissarin und versuchte, das mulmige Gefühl in ihrem Magen zu ignorieren. Es war der Fluch ihrer Arbeit, immer gleich die schlimmsten Bilder vor sich zu sehen.
„Vierundzwanzig."
„Sie ist eine erwachsene Frau! Könnte es sein, dass sie weggefahren ist? Mit einem Freund? Dass sie vergessen hat, es ihrer Großmutter zu sagen? Oder dass Ihre Nachbarin sich nicht mehr daran erinnert?"
Rosa Mascheck seufzte. „Solche Fragen hat der Polizist ihr auch gestellt. Ich verstehe ja, dass das zu der üblichen Vorgehensweise gehört, aber wenn Sie Iris kennen würden, dann kämen auch Ihnen diese Fragen lächerlich vor."
„Der Polizist? Dann hat Ihre Nachbarin sie also als vermisst gemeldet?"
Die alte Dame nickte nachdrücklich. „Aber natürlich! Noch am Sonntag, nachdem sie bis zehn Uhr nicht nach Hause gekommen war. An diesem Tag wollte die Polizei die Meldung noch nicht entgegennehmen, und auch am nächsten Tag nicht. Erst vorgestern haben sie einen Beamten vorbeigeschickt, der die Aussage aufgeschrieben hat. Ja, und seitdem wartet Irene auf ein Lebenszeichen ihrer Enkelin."
Sabine griff nach der knochigen Hand. „Ich kann es ihr nachfühlen. Nichts ist schrecklicher als die Angst um ein Kind. Aber wie könnte ich ihr helfen? Sie wissen doch, dass ich nicht im Dienst bin. Ich rufe natürlich gern die Kollegen bei der Vermisstenstelle an und frage, ob es schon irgendwelche Hinweise gibt, aber mehr kann ich nicht tun."
Enttäuschung zeichnete sich auf dem Gesicht der alten Dame ab. „Könnten Sie sich nicht ein wenig umhören? Leute befragen, die Iris zuletzt gesehen haben, und was man in solch einem Fall alles macht?"
„Ich bin kein privater Ermittler!"
„Nein, aber Sie würden bestimmt eine gute Detektivin abgeben", sagte die Alte sofort.
„Sie lesen zu viele Romane. Im richtigen Leben ist das Aufgabe der Polizei."
Doch so schnell gab die alte Dame nicht auf. „Sie könnten sich mit Peter besprechen. Haben nicht Sie mir erzählt, er würde als Privatdetektiv arbeiten?"
„Nein", rief Sabine so schnell, dass Rosa Mascheck erstaunt die Augenbrauen hob.
„Würden Sie mir wenigstens den Gefallen tun und einmal mit Irene sprechen?", bat sie und sah mit einem solch flehenden Blick über den Tisch, dass Sabine nicht ablehnen konnte.
„Kommen Sie herein. Sie
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