Feuer der Rache
abgeschlagen. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als dass ein furchtbares Verbrechen geschehen ist."
Bevor sie wieder hinter ihrem Taschentuch abtauchte, bat Sabine sie um ein Foto von Iris. „Es sollte nicht zu alt sein", fügte sie hinzu, als der Blick der alten Frau zu dem massiven Büfett wanderte, auf dem, hinter staubigem Glas, kleine Mädchen in Rüschenkleidern in die Kamera lächelten.
„Aber ja." Schwerfällig stemmte sie sich hoch und humpelte mit ihren Krücken auf einen blauen Bauernschrank zu, der mit weißen Blumen bemalt war. Sie zog eine Schublade nach der anderen heraus und kam dann schließlich mit dem Gewünschten zurück.
„Das letzte Foto, auf dem sie allein drauf ist, habe ich leider schon dem Polizisten mitgegeben", keuchte sie, schob das Bild über den Tisch und ließ sich wieder in ihren Sessel fallen.
„Iris ist das Mädchen ganz links. Neben ihr sehen Sie ihre Zwillingsschwester Maike, dann kommt Aletta, und rechts steht Carmen."
Schweigend betrachtete Sabine das Foto. Vier junge Frauen, wie sie kaum unterschiedlicher hätten sein können: Iris war die Kleinste, schmächtig gebaut, ihr Gesicht war blass und halb hinter den Haarsträhnen verborgen. Sie sah nicht in die Kamera, sondern hatte den Blick auf ihre Schwester gerichtet.
Eineiige Zwillinge konnten die beiden jedenfalls nicht sein!
Nicht nur, dass Maike einen halben Kopf größer war, sie war auch mindestens doppelt so breit. Ihr Gesicht war aufgeschwemmt, und statt des dunkelblonden, dünnen Haars, das ihrer Schwester vom Kopf hing, standen bei ihr leuchtend blaue Stacheln in alle Richtungen. Sie hatte den Arm um Iris gelegt, sah sie jedoch nicht an.
Die Frau am rechten Bildrand war groß und schlank. Das blonde Haar hatte sie zu einem nachlässigen Zopf zusammengebunden. Sie hätte hübsch gewirkt, doch der dicke, schwarze Rahmen ihrer Brille verlieh ihrem Gesicht eine krankhafte Blässe, und die Augen wurden durch die Gläser verzerrt.
Obwohl sie nicht die Größte war, wurde das Foto von Alettas Persönlichkeit beherrscht. Sie hatte die Arme um die Schultern der Freundinnen zu beiden Seiten gelegt und war die Einzige, die direkt in die Kamera sah — herausfordernd und ein wenig spöttisch. Ihre dunklen Augen hatte sie dick mit Kajal umrandet und die Lippen ebenfalls geschwärzt. Schwarz schien auch nicht die natürliche Farbe ihres langen Haars zu sein. Selbst ihre Kleidung war vollkommen schwarz. Um den Hals hing an einem Lederband ein metallenes Symbol, das Sabine nicht kannte.
„Darf ich das Foto mitnehmen?"
Frau Jacobson nickte. „Werden Sie mir helfen, Iris wiederzufinden?"
Die Kommissarin erhob sich. „Ich werde tun, was in meiner Macht liegt, aber ich will Ihnen nicht zu viele Hoffnungen machen. Mir stehen nicht die Mittel zur Verfügung, die die Polizei hat. Vertrauen Sie ihr!"
Frau Jacobson schnaubte durch die Nase und murmelte etwas Unverständliches. Sabine erkundigte sich lieber nicht, was sie gesagt hatte.
„Wo finde ich Iris' Mutter?", fragte sie stattdessen.
„In der Kirche oder im Gemeindehaus von Maria Grün. Zu Hause ist sie nur noch selten."
Sabine tippte auf das Foto. „Und Maike und die beiden Freundinnen?"
„Maike arbeitet bei ,Burger King' in der Davidstraße. Und wenn sie nicht arbeitet, ist sie natürlich hier. Aletta hat irgendwo in St. Pauli ein Zimmer. Ich weiß die Adresse nicht, aber sie ist noch immer oft bei ihren Eltern. Sie kennen sicher das alte Haus am Strandweg, das mit dem Reetdach, dort unten beim Zugang zum Baurs Park."
Sabine nickte.
„Alettas Vater ist Lotse, ihre Mutter arbeitet in der Apotheke in der Blankeneser Bahnhofstraße. Und Carmen wohnt in Hoheluft Ost in der Neumünsterschen Straße. Im alten Pfarrhaus St. Markus. Die Gemeinde hat dort eine Wohngruppe für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen eingerichtet. Carmen arbeitet und wohnt dort. Freitagabends allerdings sind die Mädchen immer hier. Sie spielen Karten, meist bis spät in die Nacht, und schlafen dann oben. Sie können ja morgen zum Frühstück kommen, wenn Sie mit ihnen reden möchten. Aber nicht vor zehn. Die Mädchen sind keine Frühaufsteher, und ich fürchte, sie trinken bei ihrem Kartenspiel oft mehr Alkohol, als ich es gut finden kann."
Sabine reichte der alten Frau die Hand. „Nein, bleiben Sie sitzen, ich finde allein raus. Dann komme ich morgen gegen halb elf. Falls ich vorher etwas erfahre, melde ich mich sofort."
Freitagnacht. Eine Woche war es her, dass die
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