Feuer der Rache
Kommissarin Peter von Borgo aus ihrer Wohnung gewiesen hatte, und er war seitdem nicht mehr dort gewesen. Ab und zu führte ihn sein Weg wie von selbst nach St. Georg, doch spätestens wenn er die Lange Reihe betrat, machte er kehrt.
Die ersten beiden Nächte brodelte der Zorn in ihm hoch, und er nahm sich ungewohnt brutal die abendlichen Spazierganger, Nachtschwärmer und die ersten Frühaufsteher. Dann wieder verlangte es ihn nach frischer, unverdorbener Luft und Weite. Er schwang sich auf sein schweres Motorrad und raste nach Norden, bis er das flache Land, begrenzt durch den endlosen Deich, erreichte. Dann ließ er sich auf die Knie fallen, sein Körper zuckte, sein Gesicht zog sich in die Länge, Fell brach durch die Haut.
Kilometerweit rannte er als Wolf über saftige Wiesen, riss ein paar Schafe und kehrte erst im Morgengrauen zu seiner Villa am Baurs Park zurück. Dort saß er bis zum Sonnenaufgang an seinem Flügel und spielte wie besessen, während sich die Schatten aufhellten. Nur Augenblicke, bevor die Sonne sich auf der anderen Seite über den Horizont erhob, zog er sich in sein Kellergemach zurück und klappte den Sargdeckel über sich zu.
An diesem Abend war er schon wieder auf dem Weg zur Garage, um mit der Hayabusa in die Stadt zu brausen, als er unvermittelt stehen blieb.
„Nein", stieß er hervor. „Ich werde nicht wie ein liebeskranker Wolf in den Gassen heulen. Du hast mich weggeschickt, also werde ich mich anderswo umsehen."
Er beschloss, durch den Baurs Park zu wandern, dann am Witthus vorbei den Hirschpark entlang und durch die Gärten der Elbchaussee-Villen bis zum Jenischpark. Oder ein Abstecher in den Botanischen Garten von Flottbek? Doch zuallererst musste er seinen großen Hunger stillen.
Der Vampir hatte Glück. Bereits am Fuß des Leuchtfeuers auf dem Kanonenberg traf er auf ein verliebtes Pärchen, das sich vorzüglich als Opfer eignete. Beschwingt querte er den Mühlenberg und schritt zwischen Rosen und gepflegten Rasenflächen am reetgedeckten Teehaus des Hirschparks vorbei. Noch hatten die Kletterrosen keine Knospen angesetzt, in zwei Monaten jedoch würden sie in voller Blüte stehen.
Peter von Borgo strich durch nächtliche Parks und Gärten und raubte sich hier und da noch einen Schluck Blut. Der Jenischpark rief Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wach. Fast fühlte er etwas wie Wehmut, als er sich dem Platz von Caspar Voghts Landhaus näherte.
Die Villa war ihm gleich ins Auge gefallen, als er sie nach seiner Ankunft in Hamburg zum ersten Mal sah: eine kühne Mischung aus heimatlicher Bauweise und klassizistischem Stil, mit einem schönen, zweigeschossigen Säulenumgang um das abgewalmte Giebeldach. Während seiner ersten Jahre in Hamburg hatte Peter von Borgo viel Zeit auf dem riesigen Parkgelände zugebracht, von dem der heutige Jenischpark nur noch ein kläglicher Rest war. Häuser und Straßen und eine lärmende S-Bahn hatten verschlungen, was vor zweihundert Jahren noch Wiesen und anmutige Gehölze waren, wo früher Quellen brodelnd aufkochten und das Wasser im weißen Sand ins Tal rann. In den Hainen und an den Ufern stiller Weiher fand man Tafeln mit allerlei Dichtersprüchen von Horaz und Vergil.
Voght war ein Mann gewesen, der selbst bei Peter von Borgo ein ungewöhnliches Interesse hervorrief. Es waren nicht das kaufmännische oder landwirtschaftliche Geschick des klugen, weit gereisten Mannes oder sein Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit -selbst König Friedrich Wilhelm und Königin Luise von Preußen ließen sich von ihm in dieser Sache beraten. Nein, es war die Seele des Wissenschaftlers und des Liebhabers der schönen Künste, die den Vampir anzogen. Sein Haus war stets voller Gäste, und in den riesigen Parkanlagen traf man auf alle geistigen Größen Europas. An langen Winterabenden fand man sich im großen Festsaal des Hauses ein, neben dem Voght eine Instrumentenstube einrichten ließ, oder man führte wissenschaftliche Gespräche in seinem chemischen Laboratorium, bewunderte physikalische Instrumente oder die Sammlung von Mineralien und exotischen Pflanzen.
Ja, der Vampir hatte es fast als Verlust empfunden, als der große Mann in einem -für Menschen -hohen Alter starb.
Senator Jenisch erhielt das Gelände, unter seinen Erben jedoch begann man das Anwesen zu zerstückeln. Um die Jahrhundertwende wurde ein Poloplatz gebaut, und man fing an, dort Golf zu spielen. Rings umher wuchsen Häuser empor. Die Parzellen wurden kleiner, die
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