Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Dolch, mit einer Klinge aus mattem Silber.
Sie sieht Nicolaus’ Gesicht. Er ist jünger. Seine Haare sind dunkel und er trägt ein schwarzes Gewand mit weißem Kragen. Seine eisblauen Augen sind voller Trauer.
Sie sieht ein Gesicht, das sich im Wasser spiegelt, ein junges Mädchen mit langen, rotblonden Haaren, die sich um das sommersprossige Gesicht locken. Minoo weiß sofort, wer das ist. Sie. Matilda.
»Ich bin jetzt hier.«
Die Stimme klingt wie Idas, aber es ist nicht Ida, die spricht.
Ein elektrischer Stoß durchfährt Minoo und sie öffnet die Augen. Idas Hand entgleitet ihr.
Ida schwebt im Schneidersitz ein paar Zentimeter über dem Boden. Ein dünner Ektoplasmafaden rinnt aus ihrem Mundwinkel. Ihre Pupillen sind geweitet, ihre blauen Augen fast schwarz.
»Meine Töchter«, sagt sie.
»Matilda?«, fragt Anna-Karin vorsichtig.
Ida seufzt, als wäre sie erleichtert. Ihr Atem ist wie weißer Nebel vor ihrem Mund.
»Es ist so lange her, dass mich jemand beim Namen genannt hat.«
»Nicolaus hat uns alles erzählt«, sagt Minoo. »Er hat von dir gesprochen. Von dem, was passiert ist.«
Die Kerzenflammen glänzen in Idas Pupillen.
»Ich weiß.«
»Wir können uns nicht ansatzweise vorstellen, was du durchlitten hast …«, setzt Minoo an.
»Ihr müsst mich nicht bedauern«, unterbricht Matilda sie. »Jahrhunderte sind seit damals vergangen. Und ich habe meine Wahl getroffen.«
Minoo will fragen, welche Wahl und was eigentlich aus ihren Kräften geworden ist. Aber Matilda spricht weiter.
»Die Zeit ist aus dem Gleis geraten. Sie verrinnt zu schnell und ihr seid nicht bereit. Ich gehe ein großes Risiko ein, wenn ich hierherkomme, in vielerlei Hinsicht. Ich bin mir nicht sicher, dass ihr reif genug seid für das, was ich euch sagen will. Es ist ein Wagnis. Ich hoffe, ihr werdet euch würdig erweisen.«
Matilda lässt den Blick über ihre Gesichter schweifen. Stoppt bei Minoo.
»Besonders du, Minoo«, fügt sie hinzu. »Du sollst die Wahrheit über deine Kräfte erfahren.«
Alle sind stumm. Gänsehaut breitet sich auf Minoos Armen aus.
39. Kapitel
I
hr seid nicht allein im Kampf gegen die Dämonen«, sagt Matilda. »Die Menschheit lebt von Anbeginn der Zeit Seite an Seite mit den Beschützern. Sie wachen über uns. Helfen uns. Versuchen, uns vor dem Bösen zu bewahren.«
»Beschützer?«, sagt Vanessa. »Etwa so was wie Schutzengel?«
»Man hat ihnen den Namen Engel gegeben«, sagt Matilda, »und noch viele andere Namen mehr. Aber sie ziehen es vor, Beschützer genannt zu werden. Sie haben uns Menschen gelehrt, die Magie in dieser Welt zu beherrschen, sie haben uns das Buch der Muster und die Musterfinder gegeben.«
Eigentlich sollte Minoo wohl erleichtert darüber sein, dass sie im Kampf gegen die Dämonen nicht alleine sind, aber das Einzige, woran sie denken kann, ist die Frage, wo diese komischen Beschützer bisher eigentlich gesteckt haben.
»Bis jetzt haben unsere Beschützer einen ziemlich schlechten Job gemacht«, sagt Linnéa, die natürlich denselben Gedanken hatte. »Wir waren mal sieben. Dann sechs. Jetzt sind wir fünf, und die Dämonen wissen, wer wir sind. Ich fühle mich echt
wahnsinnig
beschützt.«
»Die Beschützer helfen, so gut sie können«, sagt Matilda. »Sie waren einst stärker und lebten näher bei uns. Aber ihre Kräfte wurden geschwächt – und damit auch ihre Fähigkeit, mit den Menschen zu kommunizieren. Die Beschützer sprechen eine andere Sprache, sie denken anders. Das Buch der Muster sollte diesen Unterschied überbrücken, doch heutzutage gibt es immer weniger Menschen, die darin lesen können.«
»Dann kommunizieren also die Beschützer durch das Buch mit uns?«, sagt Minoo.
»Ja«, antwortet Matilda. »Und durch mich. Ich spreche für sie. Gemeinsam tun wir alles, um euch zu helfen, doch auch die Beschützer sind nicht allwissend. Nicht allmächtig.«
»Aber das Buch der Muster enthält doch Prophezeiungen«, sagt Minoo. »Wie die über uns.«
»Die Beschützer können eine
mögliche
Zukunft voraussagen. Aber die Zukunft ist nicht festgelegt. Sie wird von den unzähligen Entscheidungen gestaltet, die die Menschen jeden Tag treffen. Prophezeiungen sind fließend, sie verändern sich. Nur der Rat legt sie durch eine gewisse Interpretation fest.«
»Warum erfahren wir erst jetzt von den Beschützern?«, fragt Anna-Karin. »Adriana hätte uns etwas sagen sollen.«
Matilda lächelt traurig.
»Der Rat hat sie vergessen. Schon als ich noch lebte. Einst
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