Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
überlegen«, sagt sie. »Komm nach Stockholm, wann immer du willst. Ich verspreche dir, euch zu besuchen, so oft es geht. Papa und ich lassen uns nicht scheiden, wir wollen nur eine Weile an unterschiedlichen Orten wohnen.«
»Okay«, sagt Minoo und schaut auf den Boden.
»Minoo …«, sagt Papa, aber sie unterbricht ihn.
»Lass mich in Ruhe.«
Sie geht die Treppe nach oben, bleibt an der offenen Badezimmertür stehen und betrachtet die Badewanne. Denkt an den letzten Winter. An die Stimme in ihrem Kopf, die behauptete, sie hätte keine Ahnung, was sie wirklich erwartet.
Es wird nur schlimmer werden.
Viel, viel schlimmer
.
3. Teil
42. Kapitel
I
da bleibt in der Küchentür stehen.
Alles sieht genauso aus wie vor einem halben Jahr, wie vor dem Wasserschaden. Das Haus ist wieder frisch und sauber.
Ida ist immer stolz auf ihr Zuhause gewesen. Aber in letzter Zeit kommt es ihr manchmal so vor, als würde sich ihre Perspektive verschieben. Dann wirkt das viele Weiß, als hätte jemand das Haus in Milch ertränkt. Und der Nebel vor dem großen Fenster sieht aus, als hätte sich die Milch über die ganze Welt ergossen.
Dieser Nebel. Schon den gesamten Herbst und Winter hindurch hängt er beinahe jeden Morgen über Engelsfors. Nur um Silvester herum ist der Schnee ein paar Tage liegen geblieben, sonst schmolz er, sobald er den Boden berührte.
Ida mustert ihre Familie, die sich am Tisch versammelt hat. Mama und Papa essen ihre Knäckebrote. Lotta hat die Beine hochgezogen, ihr Gesicht verschwindet beinahe ganz hinter den Knien. Sie tuschelt mit Rasmus, der über irgendetwas kichert.
Wenn Ida sie – so wie jetzt – mit etwas Abstand sieht, ist es leicht, sie zu lieben. Mama. Papa. Schwester. Bruder. Wenn sie hier steht, kann sie die Liebe wirklich spüren. Schwerelos und rein schwebt sie in ihr. Sie wünschte, sie könnte dieses Gefühl einschließen, aufbewahren.
Sie presst ihr Französischbuch fester an die Brust und geht in die Küche.
»Guten Morgen«, sagt sie und ihre Eltern murmeln eine Erwiderung.
Ida steckt eine Scheibe Brot in den Toaster. Als sie dabei das Metallgehäuse streift, bekommt sie einen Schlag. Sie flucht leise. Heute ist wieder so ein Tag. Es fing mit dem Handyladegerät an. Ging mit dem Föhn weiter. An nebligen Morgen wie diesem spielt ihr verflixtes Metallelement verrückt.
Vorsichtig angelt sie die Brotscheibe aus dem Toaster. Bestreicht sie dünn, ganz dünn, mit Butter und nimmt noch ihre Teetasse mit an den Tisch.
»Hast du gut geschlafen?«, fragt Mama und schiebt die Teekanne in Idas Richtung.
»Ich kann mich nicht erinnern, also gehe ich davon aus.«
Sie wollte einen Scherz machen, aber ihre Mutter sieht genervt aus. Ida bereut es sofort. Jetzt ist der Morgen gelaufen.
»Arbeitest du heute oder kann ich mit dem Auto zur Schule fahren?«, fragt sie trotzdem.
»Nein, ich muss in den Laden.«
Ida nickt, schlägt ihr Buch auf und fängt an, sich selbst Verbformen abzufragen.
»Ich möchte nicht, dass du bei Tisch liest«, sagt Mama. »Das weißt du.«
»Wir schreiben heute eine Klausur«, sagt Ida. »Willst du, dass ich durchfalle?«
»Mama, Ida ist schon wieder negativ«, sagt Rasmus.
Papa lässt sein Knäckebrot sinken und schaut sie an.
»Hör mal, was ist das denn für eine Einstellung?«, sagt er.
»Du musst dir vorstellen, dass du die Arbeit zurückbekommst und der Lehrer dir die volle Punktzahl gegeben hat«, sagt Lotta.
»Oder ich lerne einfach wie normale Menschen«, sagt Ida.
Sie trinkt einen Schluck Tee und versucht, gleichgültig auszusehen. Aber sie spürt die Blicke der anderen.
Sagt nichts über Positives Engelsfors, denkt sie. Ich sterbe, wenn ich die Wörter »Positives Engelsfors« noch einmal hören muss.
Lernen normale Menschen überhaupt noch für Klausuren? Langsam kommt es ihr vor, als würde die halbe Stadt denken wie Lotta.
Nur wenige Wochen nach dem Herbstfest haben Mama und Papa sich der Bewegung angeschlossen. Nicht dass sie wirklich so wahnsinnig überzeugt davon wären. Aber die PE -Philosophie ist in vielerlei Hinsicht praktisch. Man kann sie benutzen, um den Beschwerden der Angestellten zu entgehen oder um deutlich zu machen, dass dieser Junge, den Lotta gemobbt hat, eben negative Energien verströmt.
Abgesehen davon ist es ein gesellschaftliches Muss. Die gesamte Elite der Stadt hat sich um Helena und Krister Malmgren geschart. Wer der Bewegung nicht angehört, existiert praktisch nicht mehr. Sogar Ida geht es so.
Erik und
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