Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
sitzen am Küchentisch, und im selben Moment, in dem Minoo ihre Gesichter sieht, weiß sie, was passieren wird.
Jetzt werden sie es ihr sagen. Natürlich suchen sie sich dafür ausgerechnet
diesen
Tag aus.
»Setz dich«, sagt Mama und schielt zu Papa.
Minoo merkt, dass ihre Mutter nervös ist. Und Papa schiebt ein paar Krümel auf dem Tisch vor sich zu einem Häufchen zusammen, das er unbewegt anstarrt.
Minoo verschränkt die Arme. Wappnet sich. Will es hinter sich bringen.
»Sagt es einfach.«
»Ich habe eine Stelle als Oberärztin«, sagt Mama. »In Stockholm.«
Minoo hat sich gegen das Wort »Scheidung« gewappnet, aber nicht gegen das hier.
»Anfang des Sommers habe ich das Angebot bekommen und ich habe hin und her überlegt«, fährt Mama fort. »Aber im Grunde wusste ich wohl von Anfang an, dass ich es annehmen würde. So eine Chance bekommt man nur ein Mal im Leben.«
Minoos Hirn kann nicht verarbeiten, was ihre Mutter sagt. Als wäre es ausgeschaltet.
»Ich habe Erik vor zwanzig Jahren hierher begleitet, weil er Feuer und Flamme für die Regionalzeitung seiner alten Heimatstadt war. Es war ihm unheimlich wichtig, dass sie bestehen blieb und eine hohe Qualität behielt. Und ich wollte ausprobieren, wie es ist, in einer kleineren, ruhigeren Stadt zu leben. Aber ich halte es in Engelsfors nicht mehr aus. Ich spüre das schon so viele Jahre und … Ich wünsche mir natürlich, dass ihr beide mit mir kommt, aber Erik will die Zeitung nicht verlassen.«
Papa schnaubt so heftig, dass die Krümel sich wieder über den Tisch verteilen.
»Ich habe beschlossen, trotzdem umzuziehen«, sagt Mama. »Ich muss es einfach tun. Ich verdiene es. Und ich weiß ja, dass du schon immer ein Gymnasium in Stockholm besuchen wolltest. Die ganze Mittelschule hindurch hast du von nichts anderem gesprochen …«
Mama beendet ihren Satz nicht, sondern schaut Minoo erwartungsvoll an.
Es ist nicht zu übersehen, dass sie glaubt, Minoo würde ihr überglücklich um den Hals fallen und ihr für diese fantastische Möglichkeit danken.
Aber Minoo hasst sie. Hasst sie alle beide, weil sie erst jetzt damit kommen, wo es zu spät ist.
Minoo muss in Engelsfors bleiben. Sonst geht die Welt unter.
»Ich kann nicht wegziehen«, sagt sie.
Papa schaut vom Tisch auf und seine Augen funkeln triumphierend.
»Aber nicht, weil ich bei dir bleiben will«, faucht sie ihn an und das Funkeln erlischt. »Und auch nicht, weil ich in dieser verdammten Scheißstadt bleiben will.«
»Ich verstehe gar nichts mehr«, sagt Mama.
»Was verstehst du nicht?«, schreit Minoo. »Dass du mich vor einem Jahr hättest fragen sollen? Oder vor
zehn
Jahren? Ihr habt mich in diesem elenden Nest gefangen gehalten, obwohl ich nie Freunde hatte, obwohl ich jede Sekunde hier gehasst habe!«
»Was …«, setzt Papa an.
»Sei still!«, schreit Minoo. »Ich ertrage dein Gerede nicht! Du kümmerst dich weder um Mama noch um mich, dich interessiert nur deine Scheißzeitung, für die du dich zu Tode arbeitest!«
Dieses eine Mal scheint es ihrem Vater die Sprache verschlagen zu haben. Minoo wendet sich an ihre Mutter.
»Und es war auch nicht genug, dass
ich
hier gelitten habe, nein,
du
musst erst das Angebot für einen Spitzenjob bekommen! Dann können wir plötzlich umziehen. Und jetzt willst du mich einfach hier zurücklassen!«
»Ich dachte, du würdest mitkommen!«, brüllt Mama zurück. »Ich werde nicht akzeptieren …«
»Ihr versteht es nicht!«, schreit Minoo. »Ihr versteht gar nichts!«
»Dann erklär es uns«, sagt Papa.
Minoo schaut ihre Eltern an. Sie wird es ihnen niemals erklären, wird ihnen nie die Wahrheit sagen können.
Hier muss ich ohne sie durch, denkt Minoo. Ich habe keine Wahl.
Sie will nicht mit Papa alleine in Engelsfors bleiben. Vielleicht könnte sie ihre Mutter überreden, es sich anders zu überlegen. Aber die Alternative ist nicht besser. Drei unglückliche Menschen im selben Haus.
»Ich würde gerne mitkommen, aber ich kann nicht«, sagt sie und ihre Stimme klingt wie tot. »Ich kann nicht meinen Abschluss riskieren, indem ich mitten in der Elften die Schule wechsle. Und ich habe endlich Freunde gefunden. Ich will nicht weg von ihnen.«
»Du musst dich nicht gleich entscheiden …«, hebt ihre Mutter an.
»Ich habe mich schon entschieden«, sagt Minoo und zwingt sich, ihren Blick zu erwidern. »Daran wird sich nichts ändern. Aber geh ruhig. Ich verstehe dich.«
Mama schüttelt den Kopf.
»Du kannst es dir jederzeit anders
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