Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
nach Hause.«
Und jetzt steht Linnéa hier, in einer hochgekrempelten Jogginghose, einem viel zu großen Strickpulli und zu kleinen Turnschuhen, von denen sie nicht weiß, wem sie gehören.
Linnéa schließt die Augen. Will das Chaos nicht mehr sehen.
Jeden Moment wird die Polizei hier eintreffen und morgen wird Diana alles erfahren. Dann wird man Linnéa aus der Wohnung werfen und ihr die Selbstständigkeit nehmen. War das Helenas Ziel? Denn wer, wenn nicht sie, sollte hinter diesem Überfall stecken?
Aber so leicht wird Linnéa sich nicht geschlagen geben. Sie macht die Augen wieder auf und fängt an, die leeren Bierdosen einzusammeln, die im Zimmer herumliegen. Ihr Oberschenkel tut weh, dort, wo Erik sie mit dem Baseballschläger erwischt hat. Als sie sich im Auto umgezogen hat, ist ihr der große tiefrote Fleck aufgefallen, der sich an der Stelle ausbreitet.
Erik. Robin.
Im Auto war sie überraschend klar und gefasst. Jetzt spürt sie, wie die Angst zurückkommt und ihr mit glitschigen, kalten Fingern den Hals zudrückt.
Sie sackt auf den Boden. Die Panik rast dröhnend auf sie zu, das Zimmer fängt an, sich zu drehen, und sie hat wieder das Gefühl zu fallen. Erik wollte sie brechen. Er hat sein Ziel erreicht.
»Linnéa?«, sagt Viktor.
Sie würde am liebsten aus ihrer Haut kriechen.
Einatmen, … ausatmen, … einatmen …
»Linnéa?«
Viktor geht neben ihr in die Hocke, legt eine Hand auf ihre Schulter. Sie konzentriert sich auf ihn und die Panik in ihrem Körper lässt langsam nach.
Ich lasse nicht zu, dass sie mich brechen, ich lasse nicht zu, dass sie mich brechen …
Sie sieht, wie Viktor die Stirn runzelt, und ihr wird klar, dass sie ihre Gedanken direkt in seinen Kopf geschickt hat.
»Wie geht es dir?«, fragt er.
»Ein Anflug von posttraumatischem Stress, sonst nichts.«
Viktor richtet sich auf, gibt ihr die Hand und hilft ihr auf die Füße.
»Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Nein, ich schaffe das schon.«
Er sieht sie forschend an.
»Ich hoffe, du planst jetzt nicht so eine Art Vendetta«, sagt er.
Linnéa hat nicht mal daran gedacht. Sie braucht ihre gesamte Energie, um nicht zusammenzuklappen. Um zu überlegen, wie sie ihre Wohnung behalten kann. Sie will, dass Erik und Robin bezahlen, aber sie hat noch nicht die leiseste Ahnung, wie.
»Das könnte der Rat nämlich unter keinen Umständen gutheißen«, fährt Viktor fort. »Im Gegenteil. Alexander bat mich, das zu betonen.«
Linnéa muss daran denken, was Minoo von einer Chemiestunde im letzten Herbst erzählt hat. Was Viktor mit Kevin gemacht hat. Rache für eine Nichtigkeit.
»Du lebst natürlich immer nach den Regeln?«, sagt sie.
Viktor weicht ihrem Blick aus, tippt mit der Schuhspitze gegen eine zerbrochene Keramikschale.
»Alexander sagt, der Rat werde den Vorfall prüfen. Und wir werden dich nicht dafür anklagen, dass du regelwidrig Magie angewendet hast. Dir war nicht bewusst, was du tust, und es ging um dein Überleben.«
Linnéa starrt ihn nur an.
Viktor beugt sich nach unten und schiebt die kaputte Schale beiseite. Sie lag auf einem Blatt Papier. Linnéa weiß, was darauf ist. Eine der vielen Zeichnungen, die sie von Vanessa gemacht hat. Viktor nimmt das Bild. Betrachtet es eine ganze Weile.
»Du hast sie wirklich perfekt eingefangen«, sagt er.
»Du solltest jetzt gehen«, sagt Linnéa, nimmt ihm das Blatt aus der Hand und stopft es in ihre Tasche.
Sie begleitet ihn in die Diele, schließt auf und öffnet die Tür. Der Fahrstuhl bewegt sich langsam im Schacht aufwärts.
»Pass auf dich auf«, sagt Viktor.
»Danke für die Hilfe«, sagt sie.
Viktor nickt und verschwindet auf der Treppe nach unten.
Linnéa spürt Vanessas Energie in der Luft vibrieren. Sie kommt näher und näher im selben Takt, in dem der Aufzug sich nach oben kämpft. Schwächer, im Hintergrund, spürt sie Anna-Karin und Minoo.
Die Fahrstuhltür geht auf. Vanessa stürmt heraus. Sie wirft sich Linnéa um den Hals. Hält sie so fest, dass sie sie fast erdrückt, und doch wünschte Linnéa, sie würde nie mehr loslassen. Der Kokosduft von Vanessas Haaren ist ihr so vertraut, dass es beinahe wehtut.
Wäre sie ertrunken, hätte sie diesen Moment nie erleben dürfen. Wäre ihr Element dort unten im Wasser nicht zum Leben erwacht. Hätte Viktor sie nicht gefunden, wäre sie erfroren. All diese Gedanken, die mit »Wäre« und »Hätte« beginnen, sind vollkommen unbegreiflich.
Sie dürfte jetzt nicht hier stehen. Ab sofort ist ihr
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