Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
die schwarzen Haare, die tief unter der Oberfläche im Wasser wogen.
Sie muss jetzt stark sein. Für Linnéa. Solange es Hoffnung gibt, darf sie sich nicht erlauben zusammenzubrechen.
Vielleicht hat Linnéa es geschafft, sich durchnässt und unterkühlt aus dem Wasser zu schleppen. Sie müssen sie finden. Sie müssen sie
jetzt
finden.
Vanessa schaut zur Brücke. Nicke ist nirgends zu sehen. Aber am Polizeiwagen steht eine dunkelhaarige Frau in Uniform. Paula.
»Wie viel wissen sie?«, fragt Vanessa. »Habt ihr mit ihnen gesprochen?«
»Nein«, sagt Minoo. »Wir konnten ihnen ja schlecht erzählen, dass ein Fuchs alles beobachtet hat. Anna-Karin hat anonym angerufen. Sie hat ihnen gesagt, dass Linnéa ins Wasser gestoßen wurde. Und dass Erik und Robin … es getan haben.«
Vanessa muss sich fast übergeben, als sie die Namen hört.
»Ich bringe die Schweine um«, sagt sie tonlos. »Ich
bringe
sie um.«
Minoo sagt nichts. Für einen Moment scheint sie zu zögern. Dann nimmt sie Vanessa in den Arm.
Die Reaktion kommt ganz unvermittelt. Vanessa schluchzt auf. Das Bedürfnis, alles einfach rauszulassen, ist beinahe unwiderstehlich, aber sie windet sich aus Minoos Umarmung.
»Das geht nicht«, sagt sie. »Das geht nicht … Es kommt mir vor, als wäre Linnéa wirklich tot, wenn ich …«
Sie verstummt.
»Ich verstehe dich«, sagt Minoo.
Vanessa schaut wieder zu dem Polizeiauto.
»Wartet hier«, sagt sie und rennt los, bevor Minoo oder Anna-Karin reagieren können.
Paula sieht Vanessa auf sich zukommen, aber sie scheint nicht zu wissen, wer sie ist.
»Haben Sie sie gefunden?«, fragt Vanessa.
»Hast du uns alarmiert?«
»Nein. Ich habe nur gehört, … dass ein Mädchen ins Wasser gestürzt ist. Besteht die Chance, dass sie …«
Vanessa kann es nicht aussprechen.
»Wir warten auf die Taucher der Feuerwehr, aber es dauert eine Weile, bis die hier sein können. Wir suchen das Mädchen auch an Land. Hoffentlich hat sie es irgendwo ans Ufer geschafft«, sagt Paula. »Wir haben noch nicht aufgegeben.«
Aber Paulas Tonfall verheißt etwas anderes. Und Vanessa sieht den Kanal. Das schwarze, kalte Wasser.
Sie möchte am liebsten schreien. Schreien, bis dieser Albtraum zerspringt und sie zurück in der Wirklichkeit ist, in einer Wirklichkeit, in der Linnéa lebt, in der sie in Sicherheit ist, in der es ihr gut geht.
Denn anders kann es gar nicht sein, oder? Das hier muss ein Albtraum sein. Linnéa muss es gut gehen. Es
muss
.
Nach alldem, was sie gemeinsam durchgemacht haben, können
Erik Forslund
und
Robin Zetterqvist
sie nicht einfach …
Vanessa dreht sich um. Sie konzentriert sich darauf, ihre Schritte zu zählen, einen nach dem anderen, um nicht zusammenzubrechen.
»Was hat sie gesagt?«, fragt Minoo, als Vanessa zurück ist.
Vanessa kann nicht antworten. Der Schrei in ihrer Brust schwillt immer weiter an, versucht, sich durch ihre Kehle nach oben zu drängen.
Ihr Handy klingelt und sie zerrt es aus der Jackentasche.
Unterdrückte Nummer.
»Hallo?«, sagt Vanessa.
Die Zeit dehnt sich ins Unendliche.
»Ich bin’s«, sagt Linnéa.
Vanessa bekommt kein Wort heraus.
»Hallo? Vanessa?«
»Wo bist du?«, presst sie endlich hervor.
»Ich bin eben nach Hause gekommen.«
Vanessa kann die Tränen nicht länger zurückhalten.
»Ich dachte, du …«, schluchzt sie. »Ich dachte, du …«
Minoo zupft sie an der Jacke.
»Ist sie das?«, flüstert sie und Vanessa nickt.
»Woher weißt du …«, setzt Linnéa an.
»Anna-Karins Fuchs hat gesehen, was passiert ist«, sagt Vanessa. »Alle suchen nach dir. Ich bin so schrecklich froh, dass du lebst. Ich …« Sie fängt wieder an zu weinen, so heftig, dass sie in die Hocke sinkt. »Bist du sicher, dass du okay bist?«
»Ja«, sagt Linnéa, aber ihre Stimme zittert. »Es geht mir gut. Vanessa … Entschuldige. Ich wusste nicht, dass ihr es wisst. Ich hätte sofort anrufen sollen, aber …«
Vanessa kann nicht mehr reden, sie weint viel zu sehr. Sie gibt das Telefon an Minoo weiter.
Linnéa lebt. Sie lebt.
53. Kapitel
L
innéa gibt Viktor sein Handy zurück und betritt ihre Wohnung.
Unter ihren Füßen knirschen Glassplitter, und sie geht weiter von der Diele ins Wohnzimmer, schaut sich um.
Die heruntergerissenen Bilder rascheln im Wind, der durch die eingeschlagenen Fenster zieht. Das Kreuz, das Elias ihr geschenkt hat, ist in zwei Teile zerbrochen, und der schwarze Porzellanpanther liegt mit eingeschlagenem Kopf neben dem Sofa. Sie geht ins
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